Montag, 28. Februar 2011

Zwischen Urlaub und Armee

Ich hatte mir vorgenommen noch vor der Armeezeit aus der Kirche auszutreten. Also machte ich mich auf zur Lothringer Straße ins Gericht. In dem riesigen Gebäude befand sich die Behörde zum Abmelden der Mitgliedschaft in der Kirche. Dem Pförtner erklärte ich mein Anliegen, da ich nicht den genauen Namen der Behörde wusste. Kein Problem meinte der Pförtner, Zimmer 403. Die Sache war in einer viertel Stunde erledigt. Ich staunte nicht schlecht wie unbürokratisch der Staat sein konnte. Auf Arbeit wurde die LMAA Stimmung immer größer. Nach dem ich die Drehbank an die Wand gefahren hatte, arbeitete ich mit Schulze Peter zusammen. Ich war sein Spannemann an der Drehbank. Peter meinte da hast du aber Glück das du bei Zeiten zur Armee kommst. Ich konnte ihn gut verstehen, er hatte ja ein Jahr vor mir ausgelernt und war immer noch nicht bei der Armee gewesen. Von meinem Lehrjahr wurde noch Uwe Becker gezogen. Er hatte seine Facharbeiterprüfung beim zweiten Anlauf bestanden. Hagen war der erste von unserer Truppe, der die Firma verließ. Er hatte den Arbeitsvertrag in der Firma seines Vaters unterschrieben. So langsam aber sicher zerbröselte unsere dufte Truppe. Von den Lehrausbildern ging Dixi zurück in die Produktion. Er hatte offensichtlich die Nase voll von Eckhold. Im Druckguss sollten sie wirklich mal über die Lehrausbildung nachdenken. Ansonsten stand man mit den Normzeiten ganz schön unter Druck. Doris, Peter und vor allem ich hatten ganz schön zu strampeln um die geforderten Zeiten zu bringen. Zu den schnellsten zählte ich sowie so noch nie. Dazu kam noch das wir viel Einzelstücke und Kleinserien fertigten.  Das war arbeitstechnisch gesehen interessant, Zeit blieb kaum hängen. Eins wusste ich genau, wenn ich von der Armee wiederkomme, werde ich höchstens ein halbes Jahr in der Firma bleiben und die Zeit nutzen um mir eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Arbeit gab es ja genug in der DDR, es herrschte Arbeitskräftemangel. Vielleicht fand man auch eine Firma, die einen ordentlichen Wohnraum zur Verfügung stellen konnte. Das wollte ich in aller Ruhe ausloten, wenn ich wieder da war. Wer weiß was sich bis dahin alles verändert hat.Das es in der DDR an Arbeitskräften mangelte hatte verschiedene Ursachen. Eine war die veraltete Technik, die in der Produktion vorhanden war. Der Mensch war noch immer billiger wie die Maschine. Solange die DDR mit zwei Währungen hantierte würde sich auch nicht allzu viel ändern, da war ich mir ziemlich sicher. Nicht umsonst ließen immer mehr Konzerne aus dem Westen in der DDR produzieren. Wenn es ums große Geld ging war der eiserne Vorhang zwischen den unterschiedlichen Systemen kein Hindernis. Die Lohnkosten in der DDR waren lächerlich, da kein Arbeiter mit Devisen bezahlt wurde. Allerdings mussten die Betriebe die für den westlichen Export arbeiteten ihren Maschinenpark auf Fordermann  bringen. Bestes Beispiel war die Zigarettenfabrik in Dresden. Die stellten unter anderen die Zigarettensorte Marlboro  her. Diese Sorte galt weltweit als eine der Besten, behauptete zumindest Heinz der nach seiner Armeezeit wieder in der Zigarettenfabrik arbeitete. Heinz, Falk und Hüni hatten ihre 1 ½  Jahre im Mai abgedient. Hüni wollte die Firma wechseln und kümmerte sich um neue Arbeit im KBW, als Lkw – Schlosser und Falk konnte sein Studium beginnen. Auch beim Druckguß hatte eine Firma aus der BRD Interesse gezeigt, da produzieren zu lassen. Gerüchte besagten der Konzern wäre VW, die Motorengehäuse fertigen lassen wollten. Die Gerüchte bestätigten sich, Konzernmanager hatten sich den Betrieb angeschaut und waren von der Qualität recht angetan gewesen. Schnell hatten sie festgestellt die Qualität wurde ausschließlich über die hohe Fertigkeit der Arbeiter erreicht, was dem Standart der westlichen Produktion widersprach. Viel ein Arbeiter aus war nicht garantiert, ob der neue Mitarbeiter sofort auf dem gleichen Niveau arbeiten konnte. Druckguß brauchte für den Formenbau neue Maschinen. Angeblich sollten die aus dem westlichen Ausland kommen. Da war ich mal gespannt. Wenn ich während meiner Armeezeit mal auf Urlaub war, konnte ich mich in der Firma umschauen, was sich da so tat.Seit dem Hüni von der Armee zurück war, änderte sich bei ihm so einiges. Nicht nur das er seinen Arbeitsplatz wechselte, mit Sylvia  die er in Lauenstein bei der Oldidisco kennen gelernt hatte, schien sich was ernstes anzubahnen. Sylvia kam aus einem kleinen Ort an der tschechischen Grenze, Fürstenau. Das war so in etwa der letzte Zipfel des Osterzgebirges. Roland und ich waren einmal da hochgefahren um Hüni abzuholen. Mein Gott Walter, da oben sagten sich ja Hase und Igel gute Nacht. Wenn Hüni was von dem Lebensstil seiner zukünftigen Schwiegereltern erzählte, klang das immer wie aus längst vergangener Zeit herüber. Vor allem im Winter musste das Leben da oben recht beschwerlich sein. Oft amüsierten wir uns darüber. Sylvia selber war eine Hübsche, für sie war Dresden eine andere Welt. Sie kam aber gut klar damit. Logische Folge war das Hüni und Sylvia nun öfters mit Conny und mir ausgingen. Das hieß aber noch lange nicht, dass wir immer nur mit den Mädels fort gingen. Durch seinen großen Bruder kam Roland immer wieder mal auf die Idee sich um eine neue Disco zu kümmern. Jedenfalls meinte er, wir müssten unbedingt mal nach Pretzschendorf zur Disco fahren, da soll toll was los sein. Pretzschendorf, wo sollte das denn sein, wollte ich wissen? Roland meinte hinter Dippoldiswalde Richtung Freiberg. Na gut, warum nicht es ist ja auch nicht weiter wie nach Geising. Wir machten uns am nächsten Samstag auf nach Pretzschendorf. Am Dorfgasthof herrschte reichlich Betrieb, eine Menschenmenge stand davor. Wir hatten schon bedenken da nicht reinzukommen. Die Sorgen waren unbegründet, der Tanzsaal bot reichlich platz. Auf einmal sagte einer von denen am Einlass zu mir, du bist doch der jenige der die Alte vor der Kneipe am letzten Samstag flachgelegt hat, das war eine richtig geile Nummer. Verdutzt schaute ich ihn an und sagte, wie kommst du denn darauf? Du brauchst dich doch nicht zu schämen meinte er, das war wirklich klasse. Meine Beteuerung dass ich das erste Mal hier war, nahm er nicht für voll. Roland sagte zu ihm wir sind wirklich das erste Mal hier. Aber er schenkte der Aussage von Roland keinen Glauben. Im Gegenteil er steigerte sich immer mehr in seinen Irrglauben und wollte mir unbedingt dafür eine Runde Bier spendieren. Das nahm ich gerne an. Autobasteln war bei Hüni wieder in. Sein Opel Kapitän aus den 50 Jahren musste noch lackierte werden. Den Lack hatte er schon besorgt, Schwarz und Goldfarben. Die Karosse wurde schwarz lackiert, die Motorhaube goldenfarben abgesetzt.  Dann machte er noch die weißen Zierstreifen an die Räder. Das Auto sah einfach fänomenal aus. Als das I - Tüpfelchen betrachtete er die kleine Blumenvase an der geteilten Frontscheibe.Freitag dem 05.10.1979 bekam ich per Einschreiben den Einberufungsbefehl zugestellt.  Ich war aufgeregt als ich ihn öffnete, Tatsache ich wurde direkt nach Erfurt gezogen. Aus dem Schreiben entnahm ich, dass ich in ein Transportbattalion eingezogen werden sollte. Einzufinden hatte ich mich am Stellungstag dem 1. November 7.00 Uhr in Radebeul –Ost auf dem Bahnhof. Das ging, da konnte ich mit der S - Bahn hinfahren.Mein zwanzigster Geburtstag stand vor der Tür. Conny wollte unbedingt wieder zu Vincenz Richter nach Meißen. Hüni konnte leider nicht mit, er war bei seiner Trullala in Fürstenau. So zogen Conny, Roland und ich auf Gutglück los und was soll ich sagen wir hatten wieder Glück. Die Gaststätte hatte zwar offiziell noch geschlossen aber Conny hatte Stimmen in der Lokalität gehört und klopfte an der Tür. Ein junger Mann so Mitte 20 öffnete und erklärte uns das heute die Gaststätte geschlossen bliebe, da heute Weinverkostung wäre. Conny lächelte ihn charmant an, da meinte er na gut, drei Personen mehr oder weniger machen das Kraut auch nicht fett. Bevor die Verkostung los ging, sagte Conny ich habe noch eine besondere Geburtstagsüberberraschung für dich, ich bin schwanger. Stolz drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Weinverkostung zog sich hin, es wurde ein langer, gemütlicher Abend. Der junge Mann der uns reingelassen hatte, nahm Conny beiseite und unterhielt sich mit ihr eine gefühlte halbe Stunde. Ich fragte Conny, was wollte er denn? Sie meinte das erzähle ich dir später. Kurz vor Schluss der Veranstaltung musste ich auf die Toilette. In dem Moment als ich die Türklinke anfassen wollte öffnete jemand von drinnen die Tür und knallte mir die schwere Holztür an den Kopf. Ich flog 4 - 5 Meter rückwärts in die Garderobe und schmiss einen Teil der Ständer um. Während ich benommen für mehrere Sekunden am Boden lag, kreischten einige Gäste vor Entsetzen auf. Sie dachten der Alkohol hätte mich niedergestreckt. Der Gast der mir die Türe an den Kopf geschleudert hatte, half mir wieder auf die Beine, entschuldigte sich bei mir und stellte die Ständer wieder auf. Ich bekam noch immer keinen klaren Gedanken zusammen, als mich Cornelia wieder an den Tisch führte. Sie sagte zu mir, ist dir eigentlich aufgefallen das ich heute Abend keine Zigarette geraucht habe. Benommen murmelte ich, das möchtest du auch nicht mehr. Auf dem Nachhauseweg fiel es mir wieder ein, was wollte denn der komische Typ von dir? Sie schaute mich an und sagte, eigentlich hat er mich gebeten es dir nicht zu sagen, aber ich sage es dir trotzdem. Er wollte Aktfotos mit mir machen. Und?, fragte ich voller Eifersucht. Na was wohl, ich bin Schwanger du musst zur Armee, da habe ich ganz andere Sorgen. Innerlich wurde ich wieder ruhiger, der alte Schmutzfink sollte er doch sehen wo er seine Weiber her bekam. Eine Woche bevor es zur Armee ging musste ich auf die Meldestelle meinen Personalausweis abgeben und dafür meinen Wehrpass in Empfang nehmen. Wieder wurde ich von der Arbeit frei gestellt und den Rest der Woche hatte ich noch Urlaub. Die Meldestelle befand sich auf der Theaterstraße. Dort hatten sie ein extra Wartezimmer für uns Wehrpflichtige eingerichtet. Dann endlich war es soweit, Thomas Müller wurde aufgerufen, Jahrgang 59 geboren am 21.10. Ich raffte mich auf und ging zur Tür. In dem Moment kam von der anderen Seite ein junger Mann und wollte ebenfalls hinein. Ich schaute ihn an und sagte Thomas Müller geboren am 21.10.1959 das bin ich, verdutzt meinte er, ich auch. Wir mussten beide lachen und schüttelten uns die Hand. Am nächsten Tag machte ich noch kurz auf Arbeit meinen Spind ausräumen, verabschiedete mich von den Kollegen und machte mich von dannen.Drei Tage vor Dienstantritt ging ich mit Roland und Hüni meinen Ausstand feiern. Wir machten mörderisch einen drauf. Schwer betrunken kamen wir nach Hause. Vater jammerte rum, denk dran das du bald Vater wirst. Am nächsten Morgen nach dem ausnüchtern machte ich mich ans Sachen packen, ganz oben auf packte ich die Flasche Goldbrand die mir meine beiden Strategen zum Abschied als Wegzehrung geschenkt hatten. Conny hatte extra für die letzten beiden Tage frei genommen. Wir schlenderten durch die Stadt und wollten Mittagessen. Überall Schlangen vor den Lokalitäten, also trabten wir in die Mitropa und nahmen dort unser Mittagessen ein. Anschließend zog es uns ins Bett. Am 31.10.1979 war für mich der letzte Tag im zivilen Leben für die nächsten 1  1/2 Jahre . Vater hatte relativ schnell akzeptiert dass er Opa wurde und meinte dann solltet ihr bald heiraten. Einen Tag vor dem neuen Lebensabschnitt war ich aufgewühlt, eine Mischung aus Ungewissheit, Neugier, Stolz und Angst beherrschte mein Gefühlsleben.Was wird mich da erwarten, wie wird das Leben bei der Armee sein? Ab 1.November 1979 sollte ich auf die Fragen eine Antwort bekommen!


Dienstag, 22. Februar 2011

Der letzte Urlaub vor der Armee


Der Frühling ging immer mehr in den Sommer über. Ich überlegte mit wem und wo ich Urlaub machen konnte. Die Entscheidung viel schnell und doch völlig unvorhergesehen. Wowi war mal wieder auf Urlaub. Er lud meinen Bruder zum Biertrinken ein, da hatte er jemanden vor dem er sich wieder ins rechte Licht setzten konnte. Außerdem hatte Tobias den Führerschein für  das Motorrad gemacht. Wowi wollte bestimmt wieder irgendwohin gefahren werden. So langsam aber sicher begann mein Bruder zu begreifen was Wowi für ein Taugenichts war. Obwohl Wowi nicht all zu oft zu Hause war ging er meinen Bruder so richtig auf die Ketten. Ich selber fuhr nur ganz selten bei meinem Bruder mit, ich hatte ja auch keinen Sturzhelm. Bei Wowi war das egal, der hatte ja sowieso nichts in der Birne. Während der Lehre bin ich ab und an mal bei Berze auf dem Motorrad mitgefahren, der hatte  immer einen Helm für den Sozius bei. Mit Berze hatte ich so etwas wie eine kleine Meinungsverschiedenheit was das fahrerische Können anging. Er fuhr zwar gut Motorrad aber verwechselte das manchmal mit Gas geben. Um mir zu beweisen dass beides ging, nahm er mich hin und wieder auf dem Motorrad mit und bretterte mit 100 km/h durch die Stadt. Wenn ich ihm dann sagte, das mich sein Fahrstil nicht überzeugte wurde er immer richtig wütend. Berze hatte nun mal eine ungestüme Art. Aber ansonsten war Berze ein Kumpel durch und durch. Im Westen waren die Integralhelme schon lange Standart. Im Osten wusste man, das es so etwas gibt. Viele versuchten sich so einen Schutzhelm zu verschaffen. Klar bei  Tobias hatte Vater das Problem mit Westgeld gelöst. Aus meiner ehemaligen Klasse brauchte Thilo Krebs einen Integralhelm. Berze hatte da die Beziehungen. Er kannte jemand der die Schalen dafür herstellen durfte und er kannte auch einen Polsterer der in der Lage war so einen Helm zu polstern. Also setzten wir uns im Winter bei 10 Grad Minus aufs Motorrad und fuhren die 40 km nach Rosenthal. Dort war der Polster zu Hause. Nach 3 Wochen konnte Thilo sich den Helm dann abholen.
Nach diesem Abend mit Wowi nahm mich mein Bruder beiseite und sagte, bei Wowis war die Staatssicherheit und hat sich über dich erkundigt, du sollst im Herbst zur Armee. Nun hatte ich wenigstens Klarheit für die nächsten zwei Jahre. Laut und voller Spott sagte ich zu Tobias, die werden schon die richtige Auskunft über mich gegeben haben. Ich bedankte mich bei ihm für die Information. Am nächsten Tag traf ich Conny und erzählte ihr von dem gestrigen Abend. Conny wollte mit mir vor der Armee unbedingt Urlaub machen und sich über ihre Firma um einen Urlaubsplatz bemühen. Roland hatte da volles Verständnis, das ich mit Conny Urlaub machen wollte und Tatsache Conny bekam ein Ferienhaus über ihre Firma im Harz für Anfang September. Aber bis dahin war noch ein Stückchen Zeit.
Im Juni musste ich zur zweiten Musterung. Ich hatte mich auf dem Heppkeplatz in Dresden einzufinden. Wieder brauchte ich an dem Tag nicht auf Arbeit, die Armee übernahm die Unkosten. Was dem Staat solche Aktionen kosteten, ich war ja nicht der Einzige der zur Musterung musste. Es war ein heißer Tag an dem ich dorthin sollte. Als ich vor dem Objekt auf dem Heppkeplatz aufschlug, stellte ich fest, es waren gewöhnliche Holzbaracken in denen sich die Armee eingenistet hatte. Von Außen sahen sie ganz Zivil aus, nur das sie nicht jeder betreten konnte. Es wirkte alles sehr provisorisch, in den Baracken stand die Luft. Den Offizieren in ihren Uniformen war bestimmt ordentlich heiß. Nach dem ich zwei Stunden dort sinnlos rumgesessen hatte, wurde ich in ein Büro gerufen. Dort klärte irgend so ein Offizier noch einmal die persönlichen Daten ab Adresse, Fahrerlaubnis, etc. Dann wollte er wissen ob es bei der Dienstzeit bleibt, ich nickte. Er meinte ich könnte damit rechnen als Militärkraftfahrer im Großraum Erfurt dienen zu dürfen. Ich dachte du Arsch, es gab ja keine wirkliche Alternative zu dem zu dürfen. Aber das mit dem Militärkraftfahrer klang natürlich nicht schlecht. Nun wurde es langsam ernst, aufgewuselt verließ ich die Baracke.
Auf Arbeit stand mal wieder eine Betriebsfeier an und zwar von unserer Abteilung, den Formenbau. Ich fragte Conny ob wir dahin gehen sollen, sie meinte ja. Die Feier fand in Pirna statt in der Gaststätte zur schönen Aussicht, auf der Copitzer Seite. Es war das erste Mal das ich daran mit teilnahm. Als Lehrling stand einem so etwas nicht zu. Es wurde eine angenehme Feier, niemand viel aus dem Rahmen, selbst die Kampftrinker nicht. Anschließend fuhren wir nach Heidenau zu Conny. Wir quatschten noch bis zum frühen Morgen. Conny war der Meinung dass es an der Zeit wäre eine eigene Familie zu gründen, mit eigener Wohnung und Kind. Ich meinte das scheitert schon mal am Wohnraum. In Dresden hatte ich mich bereits auf dem Wohnungsamt bemüht und mich um eine Wohnung beworben. Wartezeit für Unverheiratete nicht unter sechs Jahren. Trotzdem hatte ich eine Anmeldung abgegeben. Conny meinte in Heidenau wäre es vielleicht nicht so schwierig. Sie ging zur Wohnungsverwaltung und bekam Tatsache vier Objekte angeboten. Als wir uns das erste Objekt anschauten, zog es mir die Latschen aus. Es stand ja auch auf dem Zettel, Wohnungen für den Um und Ausbau. Aber so hatte ich es mir nicht vorgestellt. Das die Toilette ein halbes Stockwerk tiefer und ein Blumsklo war und die Maden dort Wettrennen veranstalteten, das war noch das Harmloseste. Fließendes Wasser gab es nicht in der Wohnung. Das Wasser musste aus dem Treppenhaus genommen werden. Dort befand sich auch der Ausguss. Dafür gab es fließendes Wasser von den Wänden. Die Hälfte der Decken waren heruntergebrochen, weil das Dach kaputt war. Zwei drittel der Dielen waren verfault. Eine bog ich bei Seite, die Holzbalgen unter der Decke mussten ebenfalls erneuert werden. Ein Aussichtsloses unterfangen in einem Land wo selbst ein Waschbecken zum Problem wurde. Von der Elektrik brauchten wir gar nicht zu reden. Da lebten die Feuersteins noch moderner. Nackte Drähte liefen über die Wand. Mir wurde erstmals so richtig bewusst, was für eine schöne Wohnung mein Vater hatte und wie wenig ich von dieser Welt wusste. Selbst Conny die in einer nicht so komfortablen Wohnung lebte war entsetzt was man da uns angeboten hatte. Die zweite Wohnung die wir anschauten war das Selbe in Grün. Wütend ging Conny zur Wohnungsverwaltung. Aber die ließ das alles kalt und meinten Geld für den Um und Ausbau wäre kein Problem wir müssten nur die Handwerker und das Material besorgen. Ja wo sollten wir die denn her nehmen, da wurden ja sämtliche Gewerke benötigt und Material gab es nur mit Schmiergeld und Beziehung. Selbst wenn ich die Handwerker und das Material auftreiben würde, wäre das Ganze nicht realisierbar. Denn die Arbeiten hätten nach Feierabend erledigt werden müssen. Da dauerte so ein Ausbau bis zu einem ¾ Jahr. Da wäre ich schon längst bei der Armee. Außerdem zahlte die Wohnungsverwaltung pro Handwerkerstunde nur fünf Mark, unter zehn Mark hob aber keiner die Maurerkelle.  Die Differenz hatte man selber zu tragen. Auf diese Art und Weise zu einer halbwegs vernünftigen Wohnung zu kommen konnte man vergessen. Also mussten wir erst heiraten und ein Kind in die Welt setzen. Normal war das Alles nicht mehr.
Inzwischen wurde Juli, August. Tobias genoss seine letzten Schulferien. Im September würde er seine Lehre im KBW als KFZ – Schlosser beginnen. Dann wären Roland und Becki seine neuen Kollegen. Abropo Becki, der hatte sich eine neue Freundin gesucht. Mein Gott Walter, was hatte er denn da aufgegabelt, die stand ja im krassen Gegensatz  zu den bisherigen Mädels. Was er bisher hatte, war ja alles bildhübsch gewesen und es waren liebe und nette Mädels. Aber das schlug dem Fass den Boden aus, sie hatte kurze struppige Haare, schaute meistens böse in die Welt und macht andauernd Stress. Passte ihr was nicht, posaunte sie es lauthals in die Welt, machte Andreas dumm vor anderen Leuten an und fing gleich an zu heulen, wenn er sich dagegen verwahrte. Sie war einfach nur ein Trampel wie es im Buche stand. Roland und ich suchten immer das Weite, wenn er mit ihr erschien. Irgendwann fragte ich Becki, Mensch sag mal, was findest du denn an der? Er schaute mich ganz verklärt an und sagte, Mülli schau dir doch mal die Brüste an, das sind absolute Megahammer. Ich schüttelte den Kopf und sagte, es langt mir wenn ich ihr ins Gesicht schaue. Den Rest behielt ich für mich. Er nahm es mir nicht weiter krumm, er hatte ja längst gemerkt das wir ihr aus dem Weg gingen und er fand es auch ein Stück ehrlich. Noch bevor ich zur Armee kam meinte er, Mülli du hast recht gehabt.
Inzwischen wurde es ende August, ich besorgte die Zugfahrkarten für den Urlaub. Die Freifahrtscheine von Vater waren jetzt passee für mich. Ich hatte ja ausgelernt. Wir wollten mit dem Zug bis Aschersleben fahren und dann Richtung Thale mit dem Bus. Am 3. September ging es los. Gegen 10.00 Uhr stiegen wir in den Zug nach Leipzig, dort mussten wir umsteigen. Kurz vor Riesa blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Wir standen bereits eine halbe Stunde und nichts tat sich. Ich wurde langsam nervös, in Leipzig hatten wir eine knappe Stunde Überganszeit zu unserem Zug nach Aschersleben. Der Zugführer kam durch und erklärte die Lok ist defekt sie muss gewechselt werden, die Neue wäre schon unterwegs. Aber erst einmal musste die kaputte Lok abgeschleppt werden und erst dann konnte die Neue vorgespannt werden. Auf alle Fälle dauerte der Spaß über zwei Stunden und der Anschlusszug war fort. So verzögerte sich unsere Ankunft um vier Stunden. Aber wir hatten ja Urlaub und Zeit. Der Bus fuhr über Quedlinburg nach Thale. In Neinstedt stiegen wir aus. Der Busfahrer grinste so komisch und meinte viel Spaß bei den Ninis. Was er wohl damit meinte? Das wurde mir schnell klar. In Neinstedt befand sich eine große Nervenheilanstalt. Nur mit heilen war nicht viel, es waren richtig schwere Fälle. Manchmal gingen sie in kleinen Gruppen spazieren. Es schien ein kirchliches Heim zu sein. Die Schwestern hatten so eine merkwürdige Tracht an, die Heimbewohner waren ärmlich gekleidet. Es machte alles einen traurigen Eindruck. Als ich mit Conny durch die Ortschaft schlenderte stand hinter dem Zaun des Heimes ein Mann, das Alter ließ sich schwer schätzen. Auf einmal fragte er mich, bist du mein Bruder? Erschrocken schaute ich auf, wie ein Häufchen Elend stand er da am Zaun. Seinen schwermütigen durchdringenden, fast flehenden Blick werde ich wohl nie vergessen. Ein Einheimischer der gerade vorbeiging sagte zu mir, der steht immer hier und fragt die Leute. Anscheinend hat sein Bruder ihm versprochen, ihn einmal zu besuchen.
Das Ferienhaus war ein Schönes, der Eigentümer wohnte mit auf dem Grundstück in seinem Einfamilienhäuschen. Abends sagte Conny zu mir, ich höre auf die Pille zu nehmen. Das musste sie alleine Entscheiden, aber ich gab zu bedenken, wenn die Schwangerschaft vorbei ist, war ich immer noch bei der Armee. Ich konnte sie schon verstehen, immerhin war sie 23, da hatten viele in der DDR schon zwei Kinder. Der Urlaub wurde ein richtig Schöner wir fuhren mit den Bus oft nach Thale und wanderten ins Bodetal oder auf die Roßtrappe.

Thomas 19

Cornelia 23
Auf den Hexentanzplatz fuhren wir mit der Gondelbahn. Einige Souvenirmärkte gab es da oben, Hauptattraktion in den Kitschläden waren natürlich die Hexen. Eines Morgens rafften wir uns auf um uns die Rübelandhöhlen anzuschauen. Der Bus war gut gefüllt, so dass wir stehen mussten. Vor uns auf  dem Sitzplatz saß eine junge Mutti mit ihrem Sohn von vielleicht vier Jahren. Gelangweilt schaut dieser aus dem Fenster. Auf einmal war er wie elektrisiert, rüttelte seine Mutti aufgeregt am Arm und rief  ganz laut, schau mal Mutti, schau mal eine Hexe, eine Hexe. Ich schaute durchs Fenster, auf der Straße lief ein altes Mütterchen, gramgebeugt mit Kopftuch, sie sah wirklich wie so eine alte Hexe aus dem Kitschladen aus. Der ganze Bus lachte, der Mutter war es sichtlich peinlich und der Kleine kriegte sich vor Aufregung gar nicht mehr ein.
Auf dem Weg nach Rübeland querten wir die Rappbodetalsperre .Sie war einer der größten Wasserspeicher in der DDR. In Rübeland angekommen, marschierten wir schnurstracks zu den Höhlen. Die Tropfsteinhöhlen waren interessant und schön. Zuerst waren wir in der bekannteren Baumannshöhle, in der Hermannshöhle gab es sogar Grottenolme.


 Sonntags fuhren wir nach Quedlinburg, die Innenstadt beeindruckte mich schwer, obwohl vieles noch nicht restauriert war. Wie musste das erst die Menschen im Mittelalter begeistert haben.

Im Dom zu Quedlinburg lag der erste gesamtdeutsche König Heinrich I begraben und das dieser eine Sachse war machte mich besonders stolz. In der DDR waren die Länder abgeschafft worden, die Verwaltungseinheit waren jetzt  der Bezirk, aber man fühlte sich noch als solcher.
Auf der Busfahrt nach Quedlinburg war mir eine merkwürdige Felswand aufgefallen. Ich fragte einen Passagier, was den das für ein Gebilde ist. Er meinte das ist die Teufelsmauer. Zwei Tage später schwangen wir uns aufs Fahrrad um uns das Ding einmal näher anzuschauen. Diese Felsenwand hatte was imposantes. Sie zog sich etwa 20 km durch das flache Harzvorland. Conny und ich kletterten darin herumrum.Unterhalb der Mauer sammelte jemand Kräuter.

Die Person schaut  kurz von seiner Arbeit auf. Ich dachte Mensch das gibt es doch gar nicht, das war doch der Hansen Andreas, der wohnte viele Jahre im gleichen Haus wie ich nur bei Roland und Becki im Hauseingang. Irgendwann war er verschwunden und da er ein absoluter Sonderling war, fragte auch niemand nach ihm. Genau genommen war er ein armes Schwein, seine Eltern waren Glaubensfanatiker und überzeugt davon, Andreas wäre vom Teufel besessen. Mehrmals hatten sie versucht ihm den Teufel austreiben. Seine Schwester war geistig behindert. Erstaunt fragte ich Andreas was machst du denn hier? Er sagte, ich arbeite hier im Behindertenheim. Manchmal sammle ich Kräuter, manchmal helfe ich bei der Bertreuung der Behinderten und ich bete viel. Warum nicht, meinte ich, wenn es dich glücklich macht. Glücklich, er schaut mich an, es macht manches einfacher. Ich muss weitersammeln, grüß deinen Bruder schön. Mach ich sagte ich, viel Glück für dich. Beim  fortgehen sagte ich zu Conny, er ist der komische Kauz geblieben. Abends setzten wir uns auf die Gartenbank. Im September wurden die Abende schon kühler, ich liebte solche Stunden.
Die 14 Tage Urlaub waren schnell vorbei, viel zu schnell.

Montag, 21. Februar 2011

Facharbeiter

Nun war ich Facharbeiter und das „große Geldverdienen“ konnte beginnen. Jeder  Jungfacharbeiter wurde mit der Lohngruppe 3 eingestuft, egal was er drauf hatte. Nach der Armeezeit sollte es eine Lohnstufe höher gehen. Ich fand das äußert merkwürdig und demotivierend wie damit umgegangen wurde. Hege meinte das reicht für euch auch aus, ihr habt doch sowieso nichts auf der Kirsche. Es hatte keinen Sinn sich mit Hege wegen dieser Bemerkung anzulegen. Den würde man sowieso nicht mehr ändern können. Außerdem stand er mit dieser Meinung nicht alleine. Es war schon immer eine alte Weisheit, in dem Betrieb wo du lernst wirst du immer der Letzte sein, bis die neuen Lehrlinge kamen. Das galt erst recht für einen, der seine Maschine zerlegt hatte.  Der erste Lohn viel auch recht dürftig aus, da ja für die Hälfte des Monates noch Lehrlingsgeld gezahlt wurde. Ganze bescheidene 350 Mark befanden sich in der Lohntüte. Trotzdem wollte das mir nicht in den Kopf, dafür hatte ich nun 2 ½ Jahre gelernt. Jeder bescheidene Spitzendreher verdiente da viel, viel mehr. Ich unterhielt mich mit Hagen darüber. Der hatte die Schnauze genauso voll wie ich. Er sagte zu mir, dass er im Betrieb seines Vaters als Spitzendreher anfangen wollte gleich übernächsten Monat. Da würde er mit 1200 Mark nach Hause gehen. Ich meinte die Arbeit würde mich nicht befriedigen. Hagen winkte ab, aber das Geld stimmt. Da hatte er zweifelsohne recht.  In dem Staat hing so manches schief, eben auch das Lohngefüge. Mein alter Herr verdiente als Ingenieur  nur knapp 1000 Mark und dafür hatte er nun studiert. Auch das war ein Grund für mich nicht zu studieren. Im Westen hätte er wenigstens das Doppelte verdient, da wurde Bildung noch honoriert. Es wurde höchste Zeit das ich noch einmal nach stieß wegen meiner Bewerbung im KBW. Von dort bekam ich aber eine Absage. Der Kollege der Aufhören wollte hatte seine Kündigung zurück gezogen. Ich war restlos bedient. Vater meinte, bleib doch erst einmal in der Firma bis du bei der Armee warst. Wahrscheinlich war es auch das Vernünftigste. Also blieb ich erst einmal in der Dreherei im Zweischichtsystem.
Mit Conny traf ich mich aller 14 Tage. Wir verbrachten nun mehr Zeit miteinander aber das Rumziehen mit Roland frönte ich immer noch eifrig. Es sollte ja niemand zu kurz kommen. Roland hatte eine neue Disco aufgerissen wo wir nun öfters aufschlugen, die Spirale. Die Spirale war eine Studentendisco. Eigentlich kam man hier nur mit einem Studentenausweis rein. Es sei denn man kannte jemanden und Roland kannte den gastronomischen Chef. Der fuhr zwei Autos, einen Lada und einen Wolga. Das hängte er aber nie an die große Glocke, denn es sah schon komisch aus wenn ein Student Autos im Wert von mehreren 10000 Mark fuhr. Diese Autos mussten natürlich unterhalten werden und da Roland goldene Finger hatte übernahm er das. Ein Vorteil in der Spirale waren die Preise. Da Studenten gewöhnlich nicht über das große Geld verfügten, waren sie hier relativ moderat. Die Tanzveranstaltungen fanden immer Freitags und Samstags statt. Einmal im Monat war so eine Art Prominentenabend, da wurde immer ein extra Kulturprogramm geboten. Das war in der Regel immer eine feine Sache, aber es gab auch die Ausnahme. Eines Tages hatte man eine Chansonnette eingeladen. Das entsprach nun nicht unbedingt dem Geschmack der meisten Studenten. In die Vorstellung kam einfach keine Ruhe hinein. Erbost meinte sie, wenn es nicht ein bisschen leiser wird, bricht sie ihre Darbietung ab. Einige Studenten lachten. Roland, Becki und ich standen an der Bar und tranken noch unsere  Wodka – Kola die wir uns noch vor Beginn der Veranstaltung bestellt hatten. Während der Veranstaltung war die Bar geschlossen. Die genervte Chansonette wollte gerade ihr Programm vorsetzen als Becki ausrutschte. Bevor er auf den Fußboden aufschlug erwischte er einen Stapel Plastebecher, der auf dem Tresen stand. Laut polternd flogen die Becher  in die Massen. Daraufhin  verließ die Gute völlig entnervt und unter dem Hohngelächter der Studenten die Bühne. Becki war die Sache sichtbar peinlich. Er wollte die Angelegenheit wieder in Ordnung bringen aber die Chansonette ließ nicht mehr mit sich reden. Erst der gastronomischen Leiter, der mit Spitznahmen Mamas hieß, konnte sie einigermaßen beruhigen.
Einige Wochen später rückten Roland und ich Freitags in die Spirale ein. Wir ließen es uns gut gehen bei Bier und Wodka-Kola. Das Gesprächsthema war mal wieder die D Mark, Roland brauchte welche. Wir saßen für uns alleine an einem vierer Tisch und beachteten gar nicht weiter unsere Umgebung. Ich bekam nur flüchtig mit am Nachbartisch saßen 6 Personen und das auch nur weil ich die junge Frau vom sehen her kannte. Sie wohnte im Nachbarhof, war 4 oder 5 Jahre älter wie ich. Ihre Schwester ging bei mir in die Parallelklasse. Beide waren recht hübsche Mädchen. Roland fragte ob ich DM bei mir hätte, ich nickte. Ob ich ihm welche sofort tauschen könnte, wollte er wissen? Dumm wie ich war, bejahte ich auch noch. Also zogen wir unser kleines Geschäft durch ohne zu merken das wir vom Nachbartisch beobachtet wurden. Auf einmal standen die 5 Kerle vom Nachbartisch vor uns und forderten uns auf das Geld rauszurücken. Es war eine schlichte Erpressung. Ich sagte, verschwindet. Einer von den Kerlen meinte, komm mit raus das klären wir draußen. Sofort stürzten zwei sich auf mich. Roland ging dazwischen aber es sah nicht gut für uns aus. Da mischte sich die junge Frau mit ein und sagte zu den Kerlen, lasst die beiden in Ruhe und stellte sich zwischen uns. Roland sagte verschwindet oder ich rufe die Polizei. Der Anführer der Truppe wollte sich wieder auf Roland stürzen, die Frau ließ es nicht zu. So kamen wir mit ein paar blauen Flecken glimpflich davon. An diesem Abend gossen wir uns noch gewaltig einen hinter die Binde. Zum Schluss waren wir ordentlich abgefüllt. Roland wollte ein Taxi anhalten, er versuchte immer wieder direkt vor die Autos zu springen. Mit Müh und Not konnte ich ihn davon abhalten. Da kam er auf die Idee gleich an Ort und Stelle zu schlafen und legte sich auf die Straße. Ihn da wieder hoch zu bekommen war ein Akt für sich. Ich bog ihm unter heftigster Gegenwehr seinen rechten Arm auf den Rücken bis er vor Schmerz ganz allein aufstand. So schob ich ihn vor mir her. Laut singend und krakeelend bogen wir von der Schnorrstraße kommend auf die Winckelmannstraße ein. Vor Rolands Haustüre angelangt stürzte seine Mutter schimpfend im Nachthemd aus dem Haus. Sie hätte uns schon beim einbiegen auf die Winckelmannstraße gehört, packte Roland am Schlawitchen und zerrte ihn in die Wohnung. Verdutzt hielt ich mich am Autospiegel von Rolands Bruder seinem Auto fest und so sah dann auch der Spiegel am nächsten Morgen aus.
Ein besonderes Highlight im Partyleben waren die Studentenbälle. Da ging die Post so richtig  ab. Dresden hatte mehrere Hochschulen, unter anderem die Hochschule für Verkehrswesen  ( HfV )und die Technische Universität ( TU ). Beide Universitäten führten in ihrer Mensa solche Bälle durch. Da gab es die Frühjahrsbälle, Herbstbälle, Faschingsbälle und vieles mehr. Veranstalter bei der TU waren die Gleichen die für die Spirale zuständig waren. Mit anderen Worten unser Eintritt war gesichert. Die offiziellen Karten waren immer schon weit im Vorfeld vergriffen. Überrascht war ich allerdings wie die ganze Sache mit den Schwarzkarten ablief. Da musste man sich auch nicht wundern wenn es Mamas  sich leisten konnte solche Autos zu fahren. Wir wurden über Hintereingänge oder Fenster in die Mensa gelotst. Eine Karte bekamen wir nicht in die Hand aber bezahlen mussten wir trotzdem. Der offizielle Eintritt kam 7 Mark, es wurde erwartet dass man 10 Mark gab. Pro Schub der illegal in die Mensa geholt wurde kamen 10 – 20 Personen hinein und es gab an den Abend locker zwei dutzend solche Schübe. Dazu kam, ein Ball ging über mehrere Abende. Da blieben locker mehrer Tausend Mark hängen und das Meiste wanderte bei Mamas in die Tasche. Der  würde es noch einmal weit bringen oder am Galgen laden.
Ab und an kamen auch die Jungs die bei der Armee waren auf Urlaub. Die an der Grenze dienten sah man am seltensten. Am meisten auf Urlaub kam Wowi, logisch als „ 3 – jähriger“ stand ihm auch der meiste Urlaub zu. Hin und wieder kam es schon mal vor, dass er einem über den Weg lief. Als Nachbar ließ sich das schlecht vermeiden. Er füllte einem laufend die Taschen, was er für ein toller Hecht wäre. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Stolz erklärte er mir seine Schulterstücken und das er bestimmt als Feldwebel entlassen werden würde, das wäre kein Problem. Eines Tages kam er wieder mal auf Urlaub und lief mir direkt über den Weg. Er hatte neue Schulterstücken, die ich bis dato bei ihm noch nie gesehen hatte. Ich kannte mich damit auch nicht aus. Neugierig fragte ich ihn ob dass die Neuen vom Feldwebel wären. Kleinlaut meinte er, er wäre zum Gefreiten degradiert worden. Wowi war schon ein Unikum aber in einer Richtung enttäusche er nie, nämlich wenn es ums versagen ging, da war er der ungekrönte König. Wenn ich Wowi sah, musste ich immer an Mike Krügers Lied denken, ich bin Bundeswehrsoldat toller Typ und ich hab mein Vaterland so furchtbar lieb. Irgendwie fand ich es beruhigend, dass es auf der gegnerischen Seite genau solche Plinsenbäcker, wie Wowi gab.
Inzwischen rückte der Mai  näher. Das bedeutete es wurden wieder Soldaten zur NVA gezogen. Ich hatte ja nun ausgelernt und hätte theoretisch auch gezogen werden können. Aber da hätte ich im Vorfeld zur zweiten Musterung gemusst. Wenn die Roten gemein waren, ließen sie einen bis 26 zappeln. Ab dem 27. Lebensjahr durfte man nur noch für 6 Monate gezogen werden. Das kam schon mal vor das einer vergessen wurde aber dass war wie ein fünfer im Lotto. In der Regel wurden Leute nur dann ab 27 gezogen wenn diese in der Wirtschaft als schwer abkömmlich galten oder die ihr Studium vor der Armeezeit antreten konnten und  es bis dahin noch nicht abgeschlossen hatten.
Aus unserem Haus war Nährius schon im letzten November gezogen wurden. Er hatte sich im Vorfeld für 3 Jahre verpflichtet um im Anschluss bessere Aussichten auf ein Studium zu haben. Wer sich für eine längere Dienstzeit entschied, wurde gewöhnlich gleich nach Beendigung der Lehre gezogen. Außerdem konnten die meisten Freiwilligen entscheiden bei welcher Waffengattung sie dienen wollten. Mit diesen Maßnahmen  wollte Vater Staat noch mehr Jugendliche für die Armee begeistern. Nährius entschied sich für das Wachregiment Felix Dserschinsky. Ob er sich bewusst war, das er sich da in die Fänge der Staatssicherheit begab bezweifelte ich. Schließlich unterstand dieses Wachregiment nicht der Armee sondern war eine Truppe die direkt von der Stasi befehligt wurde. Auch wenn die Uniformen der, der NVA verdammt ähnelten. Die Stasi war schlau genug es nicht in den Fordergrund zu stellen dass das Regiment nicht der Armeeführung unterstand. Den Angehörigen dieser Truppe wurde vorgegaukelt sie wäre eine Eliteeinheit. Aber bei der Bevölkerung hatte diese Einheit einen zweifelhaften Ruf. Aus unserer Klasse bzw. Parallelklassen hatten sich noch mehr Jungs für diese Truppe entschieden. Einer von ihnen war Ulf Reubig. Als sie ihn gezogen hatten wurde ihm klar wo er gelandet war und hatte seinen Wunsch vor Ort revidiert länger dienen zu wollen. Man schickte ihn wieder nach Hause. Ihm war schon klar das er seinen Grundwehrdienst erst Mitte Zwanzig antreten würde. In meinen Augen stieg Ulf gewaltig im Ansehen.
Wer sich freiwillig entschloss länger zu dienen, der wurde mit allerlei Möglichen und Unmöglichen gelockt. Das fing bei der Vergabe von Studienplätzen an und endete natürlich beim Wehrsold. Während  Soldatendienstränge mit 80 – 110 Mark im Monat besoldet wurden gab es für die Unteroffiziersränge Sold ab 600 Mark. Wenn sie einen guten Dienstrang hatten konnte sich das in einzelnen Fällen bis 1000 Mark steigern. Für nicht Wenige war das eine echte Alternative um ihr Einkommen zu verbessern. Für Abiturienten gab es noch eine weitere Möglichkeit. Sie konnten sich für 4 Jahre Armee verpflichten, das nannte sich Offizier auf Zeit. Hier gingen die Verdienstmöglichkeiten bei 1000 Mark los. Das musste halt jeder mit sich selbst ausmachen, wie lange er bei der Armee bleiben wollte.
Wenn man den westlichen Radioquellen glauben konnte war die NVA eine der zahlenmäßig stärksten Armeen in Europa. Für die ständig steigende Zahl der Truppenstärke benötigte man natürlich auch eine steigende Anzahl an Führungskräften. Ein bisschen Stolz war schon dabei, bei einer mächtigsten Armeen dienen zu dürfen, müssen, zu sollen, etc. Aber soweit reichte meine Begeisterung nicht, dort länger dienen zu wollen als notwendig. Die Armee war schon ein riesiger Moloch der Unsummen von Geld verschlang.
Ich hatte da immer so einen Leitspruch für mich, den ich mir ab und zu mal wieder ins Gedächtnis rief: Es ist immer noch besser auf der Mutti zu sterben, als mit einem Loch im Bauch.


Dienstag, 15. Februar 2011

Verteidigung der Hausarbeit

Die Zeit der Verteidigung der Hausarbeit nahte. Mehr oder weniger aufgeregt standen wir im Gang der Lehrbaracke und warteten bis wir dran waren. Vor mir musste Uwe Becker ran. Er hatte ja den gleichen Mentor wie ich, Herrn Gedlich. Nach einer halben Stunde kam Uwe ganz bleich aus dem Prüfungszimmer. Er war durchgefallen. Gedlich hatte ihm Betrug nachgewiesen. Uwe hatte sich die Zeichnung für seine Hausarbeit von den Konstrukteuren geholt und sie einfach abgezeichnet. Gedlich brauchte nur zu den Konstrukteuren gehen und die Zeichnungen vergleichen. Da hatte Uwe schlechte Argumente gehabt. Mir wurde vor der Prüfung ganz mulmig, wenn du einen Mentor hast der versucht dir irgendwelche unlauteren Dinge nachzuweisen, das war schon komisch. Mit gemischten Gefühlen betrat ich das Prüfungszimmer. In der Prüfungskommission saßen Eckhold, Kürz, Leinert und Gedlich.
Schnell merkte ich, Eckhold versuchte einen so gut es ging durch die Verteidigung zu bringen. Er war daran interessiert dass seine Lehrlinge bestmöglich abschnitten. Sicherlich hing auch eine Prämie daran. Schnell und flüssig konnte ich die gestellten Fragen beantworten. Bloß gut das ich mich intensiv mit der Hausarbeit auseinander gesetzt hatte. Gedlich hakte des Öfteren nach, immer wieder unterbrach er meine Ausführungen. Bei der Erklärung der Zeichnung geriet ich kurz ins stocken. Mir war der Begriff Auswerfer entfallen. Jede Gießform verfügte, je nach Größe des Gussstückes, über eine unterschiedliche Anzahl davon. Nach dem Gießprozess  musste das Teil aus der Gießform gedrückt werden. Das übernahmen die Auswerfer. Gedlich spürte meine kleine Unsicherheit. Ich versuchte den Begriff zu umschreiben. Sofort bohrte er nach. Eckhold meinte zu mir, sicherlich meinen sie die Auswerfer. Gedlich guckte böse zu Eckhold rüber. Diesen beeindruckte das überhaupt nicht. Gedlich giftete weiter, Müller geben sie zu, sie haben die Zeichnung kopiert. Ich sagte zu ihm, Herr Gedlich sie waren mit Bestimmtheit im Formenlager und bei den Konstrukteuren. Sie wissen ganz genau, dass über diese Gießform nichts mehr existiert. Warum unterstellen sie mir solche Dinge??? Eckhold bekam das große Grinsen, er strahlte wie ein Vollmond, Gedlich sagte nichts mehr. Kurz darauf wurde ich rausgeschickt die Verteidigung war zu Ende. Nach 10 Minuten wurde ich wieder ins Zimmer gerufen. Eckhold verkündete meine Zensuren. Bei der Vorzensur hatten alle Lehrmeister für eine 1 plädiert, Gedlich für eine 2. Die gleichen Zensuren bekam ich für die mündliche Verteidigung. Es war schon merkwürdig, ausgerechnet der eigene Mentor unterstützte einen nicht. Aber ich war glücklich die letzte Hürde zum Facharbeiter bestanden zu haben. Gut gelaunt ging ich mich umziehen. Im Anschuss trabte ich an meine Rumänenschüssel. Sie war vor 4 Wochen überholt worden. Als Arbeit hatte ich Bolzen mit Gewinde zu drehen. Jedoch bevor ich mit meiner Arbeit beginnen konnte, fing mich Barth ab und wollte wissen was ich für eine Zensur hatte. Als ich es ihm sagte, drückte er mir einen Beutel hin die Hand. Gerne machte ich so etwas nicht. Aber ich musste an Paul denken, meinen ehemaligen Klassenkammeraden. Der hatte sich geweigert Bier zu holen, da hatten ihn die Facharbeiter kurzerhand samt Wattejacke an eine Holzwand genagelt und ihn zwei Stunden dort hängen lassen, bis er " freiwillig" gegangen ist. Barth traute ich so etwas nicht zu, aber als Weichei wollte ich auch nicht gelten. Also schlich ich mich aus der Firma über ein Loch im Zaun und  schon stand ich auf dem Bahnsteig. Von hier waren es 5 Minuten in den nächsten Konsum. Ich holte 10 Flaschen Bier und eine Flasche Courrasau.  Auf demselben Weg ging es zurück in die Firma. Im nu war ich umringt von den üblichen Kandidaten. Jeder fasste ein Bier aus, für mich blieb ein kleiner Schluck in der Schnapsflasche übrig. Schnell war er vernichtet und los ging es an der Drehbank. In meinem Übermut baute ich wie jedes Jahr einmal Mist. Doch diesmal war es richtiger Mist, den ich verbockte, begünstigt durch Umstände die nicht in meinem ermessen Lagen. Aber die Hauptschuld hatte eindeutig ich. Ich Schnitt mit dem Stahl Gewinde und kurbelte den kleinen Support der Drehbank pro Durchlauf  Stück für Stück nach hinten. Der Hauptsupport  war schon am Maschinengehäuse angelangt aber das Gewinde war noch nicht fertig geschnitten. Es gab einen mörderischen Plautz und das Getriebe kam in seinen Einzelteilen angeflogen. Die halbe Firma kam angelaufen und gaffte was da nun passiert war. Mir wurde vor Aufregung schlecht. Barth lästerte wie ein Blöder. Auf einmal kam Werner von der Maschinenreparatur angerannt. Auch er hatte bei mir Bier und Schnaps ausgefasst. Er sagte zu mir: Pass auf Nicki einer von den Graveuren hat dich beim grünen Ungeheuer verpfiffen, das du Alkohol getrunken hast. Streite es gar nicht erst ab. Das mit der Maschine nehmen wir auf unsere Kappe. Eigentlich war sie noch gar nicht fertig gewesen. Wir haben noch keinen neuen Endschalter bekommen und da der Scherstift an der Leitspindel immer raus gefallen war haben wir einen Zweiten verbohrt. Deswegen hat es dir das Getriebe zerhauen. Jetzt war mir nicht nur schlecht, ich bekam auch noch weiche Kniee als das grüne Ungeheuer um die Ecke kam. Er nahm mich mit in sein Büro. Ich leugnete nicht. Nur als er fragte wer mit getrunken hatte, sagte ich niemand. Die Flasche Bier hätte ich mir auf meine Hausarbeit genehmigt. Jetzt viel mir ein, das ich mich ja in einer anderen Firma beworben hatte. Mit einem Verweis konnte ich das Vergessen. Ich bettelte das grüne Ungeheuer, das ich keinen Verweis bekam. Es wäre eine einmalige Entgleisung gewesen. Er meinte, wenn es wirklich eine einmalige Entgleisung war, würde er davon absehen. Dann schickte er mich zu Eckhold in die Lehrbaracke. Er meinte zu mir, Mensch  Müller so blöd kann man doch gar nicht sein. Jetzt muss ich dir einen Verweis geben. Ich sagte, Obermeister  Metzger hat mir versprochen dass ich keinen bekomme. Eckhold schaute mich erstaunt an und sagte das liegt nicht im Entscheidungsbereich von Herrn Metzger. Er überlegte eine Weile, dann sagte er zu mir, er wird sich mit ihm noch einmal absprechen bezüglich des Verweises. Für dich ist heute der Arbeitstag beendet. Am Tag deiner Freisprechung holst du die ausgefallene Arbeitszeit nach. Von Regressforderungen werden wir aber absehen. Ich wurde blass, daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht, dass sie mich, wenn ich Pech hatte, auch da noch am Hintern packen konnten. Klar, jetzt hatte ich auch noch den Spott der Kollegen an  der Backe, für die werde ich wohl immer der sein, der seine Maschine zerlegt hatte. Tief in mir schämte ich mich gewaltig. Der Scham brannte sich in meine Seele ein. Dabei musste ich noch froh sein das es einige Leute mit mir gut meinten. Man konnte über Eckhold sagen was man wollte, persönlich ist er mir nie dumm gekommen. Im stillen musste ich bei ihm Abbitte leisten.
Bis zur Freisprechung waren es noch ein paar Tage. Kille und Uwe mussten zur zweiten Musterung. Bei ihnen sollte es ernst werden mit der Armee, aber es kam anders. Da Uwe seine Facharbeiterprüfung nicht bestanden hatte, musste er wenigstens ein viertel Jahr länger lernen. Somit konnte er seine Armeezeit nicht antreten. Ja und Kille, das haute mich fast vom Stuhl, hatte die Waffe verweigert. Aufgeregt frage ich ihn, warum er denn die Waffe verweigert hat? Aus religiösen Gründen, antwortete er. Mir war nie aufgefallen dass Kille in die Kirche ging.
Was haben die von der Armee denn zu dir gesagt, wollte ich wissen?
Wir sehen uns mit 26 wieder.
Das war typisch für diese Leute, wer nicht nach ihrer Pfeife tanzte wurde gegängelt. Um ehrlich zu sein Kille hätte ich niemals zugetraut die Waffe zu verweigern, da musste man schon einen starken Charakter haben, wenn man sich gegen den Strom stellt. Akzeptieren konnte ich seine Meinung aber im Ernstfall, davon war ich fest überzeugt, wenn ihm die ersten Mumpeln um die Ohren pfiffen, würde er ganz schnell zur Kalaschnikow greifen. Wer lässt sich schon gerne erschießen?
Am Tag der Freisprechung kamen meine Thüringer aus Lobenstein. Ich musste ihnen nichts von meinem Malheur erzählen, sie wussten es schon lange. So etwas ging rum wie Lauffeuer. Eckhold hatte es ihnen gesteckt, als sie wegen den Feierlichkeiten anriefen. Thomas hatte das Auto von seinem Vater bekommen, einen Polski – Fiat. Damit holten sie mich von Arbeit ab. Ich musste ja die 4 Fehlstunden noch nacharbeiten. Wir fuhren erst einmal zu mir nach Hause. Im Anschluss ging es nach Pirna Sonnenstein. In der Schlossschenke war der feierliche Akt. Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein, bekam Leinert das große Jammern. Wir unterhielten uns über die Lehrausbildung. Ich sagte zu ihm, die meisten Facharbeiter sagen, die Qualität der Ausbildung würde immer schlechter werden obwohl die Lehrausbilder gute Facharbeiter wären. Das Bier hatte Leinert die Zunge gelockert, er schimpfte auf Eckhold wie ein Rohrspatz. Wie gesagt, mir persönlich hatte er nie etwas ans Kreuz geflickt, aber ich hatte oft genug gesehen, wie er mit den ihn unterstellten Lehrmeistern umsprang.
Mit dem 15.02. 1979 war die Lehre beendet. Jetzt war man Facharbeiter. Ich durfte nun mich mit der neuen Bezeichnung für Werkzeugmacher schmücken, Facharbeiter für Fertigungsmittel. Am nächsten Tag galt es Abschied nehmen von den Thüringern.
Ob ich sie jemals wieder sehen werde??
Übrigens der Verweis wurde mir nicht ausgesprochen, aber ob man ihn still, leise und heimlich ihn in meine Kaderakte vermerkt hatte, da war ich mir nicht so sicher.


                                               Wie kann man etwas leiten
                                               Wo von man nichts versteht
                                               Mit Pferden wie mit Leuten
                                               Das absolut und überhaupt nicht geht.*
*Reiterlied Reinhard Lakomy

Alltag

Eines Tages bimmelte es bei uns zu Hause an der Wohnungstür, ich öffnete sie. Vor der Türe stand ein Mann. Er stellte sich vor. Er war ein Vertreter der evangelischen Kirche. Mein Vater ließ ihn gar nicht erst in die Wohnung und fragte ihn an der Türe was er wünscht.
Ihr Sohn, meinte er und zeigte auf mich ist ja nun 18 Jahre und es wäre an der Zeit das er Kirchensteuer entrichtet. Mein Vater überlegte eine Weile und sagte zu ihm:
Wissen sie junger Mann, als die Mutter meiner Kinder aus dem Leben geschieden ist, da haben sie sich nicht um unsere Familie gekümmert, das war ihnen egal. Aber von Halbwaisen die noch nicht einmal wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, Steuern haben wollen, das ist ihnen nicht zu blöd. Christlichkeit wäre anders zu verstehen. Damit war das Gespräch für meinen Vater beendet, er machte die Tür wieder zu. 
Auf Arbeit  stellte ich fest, es wurde ganz schön rum gesoffen. Meistens in der zweiten Schicht. Da war kein Meister mehr auf Arbeit. Wenn einmal getrunken wurde, wurde anschließend auch nicht mehr gearbeitet. Einige konnten auch nicht mehr arbeiten. Als Lehrling durfte man selbstverständlich nicht mit trinken. Die Zeit zum nichts tun, musste  rausgearbeitet werden, schließlich gab es ja Normzeiten. Aber das war kein Problem. Vor allem für die Fräser nicht. Das Fertigen der Einsätze von Gießformen dauerte mehrere Wochen. Da konnte man schon Zeit schinden. Für die komplizierten Konturen, mussten sich die Fräser ihr Werkzeug, sprich den Fräser, selber schleifen. Dafür bekamen sie extra Zeit gut geschrieben. Diese Fräser steckten sie nach getaner Arbeit in ein so genanntes Fräserbrett. Es gab für jede Gießform ein eigenes Brett. Musste ein Einsatz neu gefertigt werden, hatten sie gleich den passenden Fräser parat. Auf diese Art und Weise hatten sie schon Vorlauf, bevor sie mit der Arbeit begannen. Beim Drehen konnte man Zeit schinden, wenn man mit hohem Vorschub arbeitete. Auch hier gab es Arbeiten, da dauerte es mehrere Tage bis das Werkstück fertig war. Manche übertrieben es mit dem Trinken. Kollege Zimmermann, den alle nur Zumbe riefen flog im Suff einmal gegen seinen Werkzeugschrank und schmiss ihn um. Im Schrank befanden sich die Fräserbretter. Die einzelnen Fräser flogen aus dem Schrank. Sie konnten nur noch weg geschmissen werden. Die Arbeit von vielen Jahren, war mit einmal futsch. Wenn in der Fräserei getrunken wurde, durften die Lehrlinge in der Abteilung auch nicht mehr arbeiten, denn Lärm stört beim trinken. Von den Lehrlingen arbeitet Uwe und Kille in der Fräserei. Sie kamen dann immer zu mir an die Drehbank und hielten mich von der Arbeit ab.
Kollege Hegenbarth durfte ich duzen. Ich nannte ihn wie alle einfach nur Barth. Eines Tages kam ich früh auf  Arbeit und war der Erste. Plötzlich schaute ein Kopf hinter der Drehbank hervor. Ich erschrak gewaltig. Barth war am Abend lange einen Trinken gewesen und ist im Anschluss gleich auf Arbeit. Dort angekommen, hatte er sich in die Spänekiste hinter der Drehbank zum Schlafen gelegt. Solche Dinge passierten öfters. Es gab aber auch Vorgesetzte die rochen schon von weitem den Alkohol. Einer von  diesen war Obermeister Metzger. Auf Arbeit trug er immer einen grünen Kittel. Das brachte ihn den Spitznamen grünes Ungeheuer ein. Wenn er einmal Alkohol roch war eben wie ein Ungeheuer. Der Betroffene musste ins Röhrchen pusten. wurde Alkohol im Blut festgestellt, durfte er nach Hause gehen. Die ausgefallene Arbeit bekam er natürlich nicht bezahlt, aber dafür bekam er einen Verweis. Einen Verweis handelte sich auch ein, wer heimlich eher von Arbeit nach Hause ging. Gewöhnlich passierten solche Sachen Freitags zur zweiten Schicht. Viele Kollegen hatten keine Lust  vor Wochenende bis Schichtschluss zu arbeiten. Gewöhnlich verschwanden sie nach 20.00 Uhr, obwohl die Schicht bis 22.30 Uhr ging. Ab und zu kontrollierte die Werksleitung die Anwesenheit. Da war sich selbst der Betriebsdirektor nicht zu schade. Eigentlich gab es bei den Schichtarbeitern nur wenige die keinen Verweis hatten. Aber es gab viele die einen strengen Verweis hatten, wenn sie das zweite Mal erwischt wurden. Oftmals schrieben auch die Pförtner die Namen von denjenigen Kollegen auf die heimlich sich aus der Firma schlichen. Eine von den Pförtnern war Frau Wilhelm und die hatte einen richtigen Dachschaden. Es hieß immer sie wäre eine kaputt gespielte Lehrerin, ob das der Wahrheit entsprach konnte ich nicht sagen. Sie führte eine Liste über Kollegen die sie nicht leiden konnte. Wer bei ihr auf der schwarzen Liste stand, der brauchte sich nicht an ihr vorbei schleichen. Erwischte sie ihn war er fällig. Das Problem mit ihr löste sich auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Als Pförtner hatte sie unter anderem, verschiedene Kontrollgänge zu erledigen. Sie wurde dabei immer von mehreren Katzen bekleidet. Sie war eine richtige Katzenjule.  Einer dieser Gänge führte sie in das Trafohaus. Dabei schlich sich eine Katze mit ein und diese verursachte einen Kurzschluss. Der Strom viel für mehrere Tage aus und die Katze hatte die Form einer Kohle angenommen. Die Kollegen mussten in den Zwangsurlaub. Nach dieser Aktion wurde Frau Wilhelm entlassen. Es war übrigens das einzige Mal das wirklich jemand entlassen wurde.
Auch aus der großen Weltpolitik gab es Neues zu berichten. Die DDR hatte ende August den ersten Deutschen in den Weltraum geschickt. Das wurde medienwirksam ganz groß aufgezogen. Die politischen Scharfmacher auf ostdeutscher Seite sahen in dem Weltraumflug von Siegmund Jähn die politische Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus. Nach der Landung wurde Siegmund Jähn im gesamten Ostblock rumgereicht wie ein Tuch. Man merkte dem eher bescheidenen Oberstleutnant der NVA an, das ihm solche Feierlichkeiten nicht zu sagten. Das verschaffte ihm bei der Bevölkerung die eigentliche Anerkennung.  Mir ging das ganze Gemache sowieso auf die Nerven. Die Roten sollten lieber sehen, dass es neben den viel gepriesenen Grundnahrungsmittel auch andere Dinge in den Laden kamen.
Der Umgangston auf Arbeit war rau und nicht unbedingt herzlich. Manchmal graute es einen auf Arbeit zu gehen. Ständig wurde man dumm belegt oder richtig angemacht. Mich schickt man mit Vorliebe Kaffee holen. Einmal war ich der Lehrling und für solche Arbeiten sowieso zuständig und andererseits verschwepperte ich beim Kaffee holen immer etwas aus der Kanne aufs Tablett. Das war für die Meisten ein Grund, einen für blöd zu erklären, laufend wurde man verspottet, es wurde schon zum Volkssport. Aber nicht nur mir ging es so. Wenn es darum ging andere zu ärgern war Barth einfach Spitze. Kollege Meier arbeitete in der Arbeitsvorbereitung. Er war früher einmal Fräser gewesen. Eine Krankheit hatte ihn über Nacht erblinden lassen. Es hatte fast ein halbes Jahr gedauerte bis er wieder sehen konnte. Seine ursprüngliche Tätigkeit konnte er nicht mehr ausüben. Er hatte den Spitznamen Jauche, wenn mal was in seinem Leben daneben ging war es sein Schlagwort. Meier hatte eine Tochter, die mit mir im Betrieb lernte. Hässlich war sie nicht, aber sie hatte eine unreine Gesichtshaut. Für Barth war es das gefundene Fressen. Jedes Mal  wenn Meier an ihm vorbeilief brüllte er ihn hinterher:
Wenn du mir die Hälfte deines Lohnes gibst und dazu wöchentlich zwei Flaschen Schnaps, dann heirate ich auch deine Tochter. Aber ohne Schnaps läuft da nichts, ich muss deine Tochter erst einmal schön saufen. Genauso gerne ärgerte er Helga. Sie arbeitete an einer kleinen Drehbank. Helga war nicht groß sie war vielleicht 1,55m und hatte das berühmte Würfelformat a hoch 3. Barth wollte immer wissen wie schwer sie war. Das war Helgas wohl gehütetes Geheimnis. Im alten Formenlager gab es eine Waage, die war in den Erdboden eingelassen. Barth hetzte Peter auf, Helga mit reinzulegen. Peter bat Helga ihm beim tragen eines Gießformeinsatzes zu helfen. Er richtete es so ein dass Helga über die Waage lief. Barth stand auf der Lauer. Im Anschluss wogen beide das getragene Teil und schon hatten sie Helgas Gewicht. Eine Stunde später wusste jeder im Betrieb, Helga brachte 75 kg auf die Waage.
Eines Tages kam ich zur zweiten Schicht, ich sollte Peter an der Drehbank ablösen. Es war ein gutes Arbeiten an der Drehbank von Peter, er arbeitete an einer  deutschen Maschine. Das war schon etwas anderes wie meine alte Rumänenschüssel. Ich zog mich gerade in der Gaderobe für Lehrlinge um. Die Tür zu der für die Facharbeiter stand weit offen, Barth zog sich gerade aus. Ich dachte noch der ist aber zeitig dran, da viel er auch schon um. Entsetzt rannte ich zu Barth und wollte ihm wieder auf die Beine helfen. Da merkte ich, er war stock betrunken. Er brachte kein gescheites Wort mehr  zusammen. Ich schleifte ihn unter die Dusche damit er wieder einiger Maßen klar sah. Im Anschluss ging ich an meine Maschine, Peter fehlte. Das grüne Ungeheuer kam zu mir gesaust und fragte mich wo Peter ist. Woher sollte ich das wissen, ich war doch gerade erst gekommen. Er meinte nur, sollte er auftauchen schick ihn zu mir. Nach 5 Minuten kam Peter, er hatte sich versteckt. Zusammen hatte er mit Barth und Zumbe mehrere Flaschen Dessertwein getrunken. Verdünnt hatten  sie das Ganze noch mit ein paar Flaschen Bier. Er fragte mich ob das grüne Ungeheuer bei mir war, ich nickte. Peter meinte er gehe jetzt lieber nach Hause, da können sie ihm nichts mit dem Alkohol. Peter hatte Pech, beim verlassen des Betriebes sah ihn Fritzsche Heinz, der Meister von der Formreparatur. Da hatten sie ihn wegen vorzeitigen verlassen des Betriebes am Hintern.
Die nächsten vier Wochen wurde meine Drehbank überholt, so lange blieb ich mit an Peters Maschine. Die Drehbank stand schon im Bereich der Nachbarabteilung, der Formreparatur. Da blieb es nicht aus, das man auch Kontakt mit den Kollegen der anderen Abteilung hatte. Einer von ihnen konnte sich nicht mein Namen merken und verpasste mir den Spitznamen den ich nicht mehr loswerden sollte. Er rief mich Nickeneck. Nickeneck war ein kleiner Fernsehkobold, der gerade jedes Wochenende über die Mattscheibe flimmerte. Aus Nickeneck wurde ganz schnell Nicki damit war mein Spitzname geboren. Ab sofort war ich nur noch der Nicki. Mir war es eigentlich egal wie sie mich riefen. Nach Beendigung der Lehre wollte ich sowieso die Firma wechseln. Bei Roland in der Firma sollte eine Stelle frei werden, die genau meinen beruflichen Vorstellungen entsprach. Da es in der DDR an vielen mangelte, hatte das KBW Dresden eine Stelle geschaffen, wo bestimmte Ersatzteile selber gefertigt wurden. Diese wurden auf der Drehbank oder der Fräse gefertigt. Genau der Kollege der diese Teile bearbeitete wollte aufhören. Ich hatte meine Bewerbungsunterlagen schon abgegeben.
Auch im Leben nach der nach der Arbeit ging es munter weiter. Mit Roland, Becki und Conny feierten wir meinen 19. Geburtstag und  dann war es auch nicht mehr weit hin bis Silvester. Conny kümmerte sich diesmal darum. Sie besorgte zwei Karten für das Ringkaffee. Ich rümpfte die Nase. Das Ringkaffee hatte etwas anrüchiges, es war die Schwulenkneipe von Dresden. Conny meinte du bist ja mit mir, da werden dich die Habbidabbis wohl in Ruhe lassen. Außerdem werden Silvester auch jede Menge Heteros da sein. Roland wollte auf keinen Fall da mit hin. Ganz so verbissen sah  ich es nicht. Außerdem hatte Roland keine Alternative zu bieten. Kurz vor Weihnachten kam Hüni auf Urlaub. Er war nun im dritten und letzen Diensthalbjahr. Gewöhnlich wurde man im dritten Diensthalbjahr automatisch Gefreiter. Hüni wurde nicht befördert. Er war schon immer einer von den Harten. Er erzählte vom neusten Schrei bei ihm auf der Kompanie, Brotwein.
Was ist denn das, fragte ich staunend??
Der wird wie Fruchtwein angesetzt, Brot wird ja aus Getreide gemacht und gärt genauso, erklärte er. Mehrere  Ballons hätten sie davon gemacht.
Das soll schmecken? Ich war entsetzt.
Nö meinte Hüni, aber drehen tut es und das ist die Hauptsache.
Da hatte er wohl recht.
Weihnachten war wieder mal Burgfrieden. Drei Tage gab es keinen Streit. Das war Balsam für die Seele. Ich hatte noch ein paar Tage Resturlaub. Die nahm ich zwischen Weihnachten und Neujahr. Silvester kam Conny zu mir. 18.00 Uhr machten wir los. Das Ringcafe befand sich an der Ecke Külzring / Wallstraße unweit des Altmarktes. Wir liefen 20 Minuten. Zufälligerweise hatte mein Lehrfacharbeiter seine Silvesterfeier im selben Haus gebucht. Es war rund um den Altmarkt  merkwürdig ruhig und dunkel. Aber vielleicht kam es auch einen nur so vor. Kurz nach zwei war Schluss. Wir wollten bei Conny schlafen, denn am Neujahr standen noch ein paar Anstandsbesuche an. Auf dem Weg zum Bahnhof fand ich es mächtig kalt. Im Bahnhof herrschte das Chaos. Viele Züge vielen aus. Die Temperaturen waren mittlerweile auf  Minus 20 Grad gefallen, Oberleitungen waren gerissen. Es gab Stromabschaltungen. Wir entschlossen uns bei Vater zu schlafen. Es war das Beste was wir tun konnten. Früh am Morgen berichteten sie im Rundfunk und im Fernsehen von dem Unwetterchaos. Viele Stromausfälle in der ganzen Republik. Die Dresdner Innenstadt war ohne Strom. Wir hatten im Ringcafe Glück gehabt, das Restaurant hing an irgendeinem Notstromaggregat. Der Winter wurde richtig hart. Am schlimmsten erwischte es die Küste. Meterhoch schneite es die Insel Rügen ein. Das ganze öffentliche Leben kam zum erliegen. Die Armee wurde eingesetzt. Mit schwerer Technik, befreiten sie Straßen und Schienen vom Schnee. Auch in den Braunkohletagebauen mussten sie ran. Die Kohle fror teilweise an den Wagonwänden fest. Es kam großflächig zu Stromausfällen. Der Wirtschaft entstand riesiger Schaden. Da die Betriebe zu 95% staatliche Unternehmen waren blieb der Schaden am Staat hängen.
In meinem Betrieb tat sich auch was im Bereich Jugendarbeit. Es gab einen neuen FDJ – Sekretär. Er war zwei Jahre älter wie ich aber ein ganz  emsiger.  Unbedingt sollte ich wieder in die Organisation eintreten. Das lehnte ich entschieden ab. Um seinen Fähigkeiten zu beweisen, organisierte er zwei Konzerte mit Rockbands aus der DDR. Es waren nicht irgendwelche, sie standen in der ersten Reihe, Electra und MTS.  Das wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen. Der neue FDJ – Sekretär bot mir Karten an. Ich tat gequält und als ob es eine Gnade wäre die  Karten anzunehmen. In Wirklichkeit freute ich mich riesig darüber. Die Konzerte waren Klasse, insbesondere gefielen mir die frechen Texte von MTS. Als Gastsängerin hatten sie Bettina Wegner geladen. Sie war eine Liedermacherin. Die Texte ihrer Lieder waren schon politischer Sprengstoff. Lange sollte sie auch nicht mehr im Land bleiben. Viele Künstler verließen die DDR. Sie konnten den Zwang und die Zensur nicht mehr ertragen. Ob es allerdings immer der Zwang war oder manchmal auch das liebe Geld  was lockte, das konnte man nur vermuten.

Ein Dilettant auf hohem Ross
Ist immer ein Rhinozeros*
* Reiterlied Reinhard Lakomy

 


Hausarbeit

Gleich am Anfang des neuen Lehrjahres bekamen wir unsere Hausarbeit zugeteilt. Wir hatten ein reichliches viertel Jahr Zeit diese zu schreiben. Als Mentor bekamen ich Herrn Gedlich zugeteilt. Herr Gedlich hatte zwei Lehrlinge zu betreuen, auch den besten Lehrling von uns betreute er, Uwe Becker.  Ich bekam von Eckhold ein Gußteil in die Hand gedrückt, dieses sollte ich nicht nur beschreiben, es musste eine Gießform von diesem Teil entwickelt werden, samt Zeichnung. Ich machte mir bei Zeiten Gedanken um meine Hausarbeit. Das Gussteil zeigte ich Peter und Doris und beide konnten mir hilfreiche Hinweise geben, wie ich die Sache am besten bewerkstelligen konnte. Peter meinte den Gedlich hätte er auch als Mentor gehabt. Das ist ein absolutes Arschloch, bei dem musst du aufpassen. Geh bei Zeiten ihn um Rat fragen, der hat die kleine Männer Krankheit. Der versucht ernsthaft jedes Jahr seine Lehrlinge durchfallen zu lassen, in denen er ihnen Betrug unterstellt. Schon Eckhold hatte uns vor Betrug gewarnt und uns im Betrugsfall gleich die Konsequenzen erklärt. Gedlich wurde von anderen Mitarbeitern nur als der Giftzwerg betitelt. Er war nicht nur klein, er war auch sehr sportlich und vor allem egoistisch. Im Betrieb arbeitete er als Konstrukteur. In seiner Freizeit betrieb er Alpinistik und zwar auf einem so hohen Niveau, das es für die Nationalmannschaft reichte.  Es kam öfters vor das er die 15 km auf  Arbeit rannte. Dabei hielt er in den Händen Gummiringe die er bei jedem Schritt zusammenpresste. Auf diese Weise stärkte er seine Handmuskulatur. Im Winter kam er mit Skiern gefahren. Vor ihm musste ich also aufpassen.
Noch hilfreicher war Dorit. Sie schaute sich das Gussteil an und meinte sie hätte bis auf eine Kleinigkeit  das Selbe gehabt. Ich fragte sie was sie denn für eine Zensur erhalten hätte, auf ihre Arbeit. Eine 1 was sonst sollte eine ehrgeizige Frau bekommen. Ob sie mir ihre Hausarbeit borgt, wollte ich wissen? Sie überlegte eine Weile und sagte, das ist Betrug wenn ich sie dir gebe. Nein sagte ich, ich will sie ja nicht abschreiben, aber es macht leichter. Eigentlich hatte sie auch keinen Grund mit mir dumm zu tun. Ich hatte sie nie geärgert. Im Gegenteil für ihren Sport den sie betrieb, hatte ich sie immer bewundert. Sie war Dritte bei den DDR Meisterschaften in ihrer Gewichtsklasse im Judo geworden. Dafür nahm sie einen hohen Preis in kauf. Als ich mit der Lehre angefangen hatte, erzählte Zwiebel im zweiten Lehrjahr gibt es ein Mädchen. Ich stritt lange mit ihm, bis mir Bernd vom zweiten Lehrjahr bestätige die Person neben ihm an der kleinen Drehbank ist ein Mädchen.
Letztendlich gab sie mir ihre Hausarbeit. Sie war eben doch eine Liebe.
Einen Lehrfacharbeiter bekam ich auch zugeteilt. Er hieß Rainer Kynast und war einer von den Vernünftigen. Er arbeitete neben mir an der Fräsmaschine. Leider arbeitete er selten in meiner Schicht. Aber er gab mir auch so manchen Tipp, zu meiner Hausarbeit. Nach einem Monat raffte ich mich auf und schrieb mein Konzept. In Doris Hausarbeit konnte ich manch nützlichen Hinweis finden. So benötigte ich vielleicht ein Viertel der eigentlich Zeit. Damit rannte ich zu Gedlich. Dieser fühlte sich sichtlich geschmeichelt, als ich ihn Ansprach und die Bitte äußerte, einmal auf das Konzept zu schauen und mir mit seinem fachlichen Rat zur Seite zu stehen. Seine Mundwinkel zogen sich bis zu den Ohren hoch. Das würde er gern tun, ich hätte schon mal eher bei ihm vorbei schauen können, meinte er. Es hätte mir gut gestanden, ihn zu jedem Kapitel im Einzelnen zu fragen.  Du Spinner, dachte ich. Nach einer Woche gab er mir mein Konzept wieder, mit einigen Korrekturen und Anmerkungen. Ich erzählte Uwe was ich bei Gedlich erlebt hatte. Er winkte nur ab und meinte, da ist noch genug Zeit. Anschließend ging ich ins Gussformenlager um mir die Gießform einmal anzuschauen. Herr Reinhold der das Lager verwaltete, meinte die Gussform ist vor einem Jahr verschrottet worden. Das war natürlich dumm, aber es gab noch eine andere Möglichkeit. Ich ging zu den Konstrukteuren und bat sie einmal nachzuschauen ob von der Gussform noch eine Zeichnung existierte. Auch hier hatte ich Pech, es gab keine Zeichnung mehr. Die von Doris wollte ich keinesfalls verwenden, irgendwie hatte ich das dumme Gefühl, das damit etwas nicht in Ordnung wäre. Ich sprach mit Conny über meine Hausarbeit. Sie wollte mir die Hausarbeit auf der Maschine tippen. Das war gar nicht so ohne, ein Tippfehler und die ganze Seite musste neu geschrieben werden. Wegen der Zeichnung wollte sie ihre Zeichnerinnen in der Firma fragen. Eine ihrer Kolleginnen erklärte sich bereit für 50 Mark die Zeichnung zu fertigen.  Ich machte eine Skizze, wie die Gießform aussehen könnte. Ich war von der fertigen Zeichnung begeistert, nun musste ich mich noch intensiv mit ihr auseinandersetzten. Die Hausarbeit abgeben war die eine Sache, sie musste noch verteidigt werden. Auch die anderen Jungs von meinem Lehrjahr befassten sich eifrig mit ihrer Hausarbeit. Jeder versuchte so gut wie möglich mit dem Arsch an die Wand zu kommen. Es kostete jedenfalls eine Menge Freizeit. Untereinander tauschten wir uns immer über den Stand der Dinge aus. Kurz vor Weihnachten mussten wir die Hausarbeit abgeben, so zu sagen als Weihnachtsgeschenk.

In der Küche riecht es lecker
Ähnlich wie beim Zuckerbäcker
Oh es riecht gut – Oh es riecht fein
Heut rührn wir Teig zu Plätzchen ein*
*Volkslied


Literatur und Schundliteratur

Mit beginn des dritten Lehrjahres begann für mich der Schichtbetrieb. In der Dreherei und der Fräserei wurde in zwei Schichten gearbeitet. Das war ein völlig neuer Lebensabschnitt. Mir persönlich viel die Umstellung nicht allzu schwer. Ich war sowieso ein Typ der spät ins Bett ging  und zeitig aufstand. Kille der in der Fräserei arbeitete hatte da mehr Probleme. Unsere Firma hatte auch den 3 – Schichtbetrieb erwogen. Aber in einer Studie hatte sich herausgestellt, dass in der dritten Schicht die Leistungskurve stark  nach  unten  zeigte.  Die Firmenleitung  befürchtete  zu  starke  Qualitätsschwankungen, also blieb es beim 2–Schichtsystem. Die zweite Schicht begann 14.00 Uhr und endete 23.30 Uhr. Von der Zeitaufteilung hergesehen war es die uneffekttiefste  Schicht. Selbst ich gewöhnte mich schnell daran bis 8.00 Uhr zu schlafen. Gegen 12. 00 Uhr aß man Mittag, gegen 13.00 Uhr ging es auf Arbeit und nach Schichtschluss ins Bett. Meistens las ich vorm Einschlafen noch eine halbe Stunde in einem Buch. In der Regel waren es Geschichtsbücher und Abenteuerromane. Mich interessierten vor allem Bücher über alte Indianerhochkulturen, das römische Reich und Bücher über die germanische Kultur. Ab und zu konnte ich mich auch für die Sciencefictionliteratur begeistern. Ein besonderes Steckenpferd von mir waren Kriegsbücher. Aber nicht irgendwelche Hurra – Kriegsliteratur a la vier Panzersoldaten und ein Hund, sondern Bücher die die Grausamkeit des Krieges und das endlose Leid der betroffenen Menschen aufzeigten. Allerdings gab es da nicht allzu viele Bücher in der DDR. Schundliteratur zu diesem Thema gab es genügend. Von Soldaten die mit der Handgranate in der Hand starben und ihren letzten Gedanken der ruhmreichen Heimat widmeten bis zu Kindersoldaten die ganze Kompanien feindlicher Soldaten vernichteten. Klassische Vorbilder für solche Schmierfinken gab es genug. Wenn ich an so ein Buch geraten war musste ich immer an Gavroche von Victor Hugo denken. Für den Knirps war das Leben auch schon zu Ende bevor es richtig begonnen hatte. Als Kind konnte ich mich für so etwas begeistern. Aber jetzt entsetzte mich so etwas immer mehr. Der Zwiespalt in mir wurde immer größer. Es ließ mir einfach keine Ruhe. Ich musste und wollte auch zur Armee. Klar die Heimat sollte ja geschützt werden. Aber immer mehr schloss ich die Roten aus meiner Heimat aus. Schundliteratur fand man oft in den Groschenheftchen am Zeitungskiosk.



Bevor ich zur zweiten Schicht ging, machte ich hin und wieder am Zeitungskiosk im Hauptbahnhof einen Zwischenstopp. Hier gab es eine ganze Menge solcher Heftchen von den unterschiedlichsten Verlagen. Ich teste die einzelnen Verlage und kam nach dem fünften oder sechstem Heft des Militärverlages zu dem Schluss, so etwas müsste verboten werden. Der Grundtenor der in den Heftchen unterschwellig mitschwang war das Allerletzte. Ein richtiger Mensch ist nur ein Kommunist, der bereitwillig sein Leben für den Kommunismus einsetzt. Egal ob im KZ, an der Front oder im Feindesland, Hauptsache er war bereit, mit stolzgeschwelter Brust und klassenbewusst den Tod zu empfangen.

Wenn ich da an die Genossen in unserem Haus dachte, kamen einem sofort die Zweifel an dem Geschriebenen. Sie waren genau solche Menschen wie jeder Andere, mit ihren guten und schlechten Seiten und es war kaum anzunehmen dass sie ihr Leben für die Sache opfern würden. Dachte ich an Wowi, den drei Groschenjungen, erschien das Geschriebene zu einer grotesken Maske zu erstarren, der würde doch sein Vaterland für eine Flasche Bier verkaufen.






Urlaub

Bevor wir Urlaub machten, wurden wir auf Arbeit in die Produktion versetzt. Ich wollte in die Dreherei und kam auch dort hin. Den Werkzeugbau hatte ich mit 3 abgeschlossen Als Vorzensur hatte mir Rakowski eine 3 gegeben obwohl ich auf 2,5 stand. Auf die Prüfungsarbeit hatte ich eine  2 bekommen. Aber Rakowski verpasste mir als Gesamtzensur eine 3, Arsch blieb eben Arsch.
In der Dreherei herrschte ein rauer Umgangston. Obwohl keiner wusste, was man so drauf hatte, wurde man gleich als doof abgestempelt. Jedes zweite Wort war, als wir Lehrling waren, brachten wir das alles schon. Am schlimmsten war Herr Hegenbarth, er war frisch geschieden und ließ seinen Frust am Schwächsten aus und das war nun mal ich der neue Lehrling. Dann waren da noch, Gerhard Rocke und Herr Walter. Beide waren die Chefs, selbst der Meister hörte auf sie. Herrn Rocke siezte ich und zu Herrn Walter sagte ich du. Das war schon merkwürdig, jeder rief ihn Walter. Jedenfalls sagte ich zu ihm, ich kann doch nicht Walter sagen, ich bin doch noch Lehrling. Er sagte ich heiße mit Vor und Zunamen Walter, da kannst du es ruhig sagen. Ich wollte es gar nicht glauben, das jemand auf den gleichen Vor und Zunamen hörte. Dann waren da noch die Jungfacharbeiter Doris Hausmann und Peter Schulze sowie Helga Pause die für eine andere Abteilung arbeitete. Eine Woche nachdem ich in die Dreherei gekommen war hatte ich dann endlich Urlaub.
Den ersten Samstag im August starteten wir um die Mittagszeit Richtung Berlin. Kurz hinter der Raststätte Freienhufen sagte auf einmal Roland, das Wasser im Motor kocht. Wohl oder übel fuhren wir auf den nächsten Rastplatz. Hier mussten wir zwei Stunden warten, ehe sich der Motor soweit abgekühlt hatte, dass wir weiterfahren konnten ohne zu befürchten an dem nächsten Rastplatz wieder halten zu müssen. Unterwegs meinte Roland, dann müssen wir von Berlin eben morgen Abend weiterfahren, da ist die Hitze nicht mehr so groß. Bis Berlin fuhr Roland nie schneller, wie 80 km/h, die Motortemperatur blieb hart an der Grenze im Bereich des Normalen. In Berlin angekommen, parkte Roland seinen Skoda auf dem Parkplatz direkt vor dem Staatsratgebäude. Hier schlafen wir dann im Auto, meinte er. Ich sagte zu ihm, da ist der Ärger schon vorprogrammiert. Quatsch nicht immer so ein Zeug sagte Roland. Ich hatte keine Lust und auch keinen Grund zum Streiten, so machten wir uns auf in den Bierkeller im Palast der Republik. Gegen 24.00 Uhr verließen wir die Gaststätte, liefen zum Auto und bauten es um. Roland und Becki wollten hinten schlafen, sollten sie nur, ich legte mich auf Fahrer und Beifahrersitz. Den Kasten Bier den wir mitgenommen hatten verstauten vorm Gaspedal. Rolands Mutter hatte für das Auto noch schön geblümte Gardinen genäht, die zogen wir jetzt zu und legten uns zum Schlafen. Am frühen Morgen klopfte es gegen die Fensterscheiben, ich dachte was sind das für Idioten die einen den Schlaf nicht gönnen. Ich reckte und streckte mich, ehe ich die Augen aufschlug. Als ich sie dann aufschlug, sah ich zwei Vopos um das Auto rum springen. Ich kurbelte das Fenster runter und fragte, was ist? Sie grüßten und stellten sich vor.  Was wir hier treiben,wollten sie wissen? Na schlafen, das sehen sie doch. Schließlich haben sie uns geweckt. So geht das nicht, meinte der Eine von beiden. Das wäre schließlich der Parkplatz vor dem Regierungssitz der Deutschen Demokratischen Republik. Verlassen sie umgehend den Parklatz. Von hinten brüllte Roland, gerade deswegen fühlen wir uns hier besonders sicher nach einer langen und anstrengenden Fahrt.
Bürger, diskutieren sie mit uns nicht rum, sondern folgen sie unseren Anweisungen.
Roland konnte es nicht lassen, wie ein Besessener diskutierte er rum. Die Polizisten wurden deutlicher, entweder sie verschwinden hier oder wir nehmen sie mit aufs Revier. Wütend stieg Roland barfuss hinters Lenkrad. Mit den Kasten Bier zwischen den Füssen und nur bekleidet mit einer grünen Turnhose fuhr er vom Parkplatz. Auf einmal tauchte links neben uns die Mauer auf. Roland bog rechts in  eine kleine Nebenstraße ein. Früh um 5.30 Uhr war sie menschenleer. Roland hielt an und meinte hier bleiben wir. Während meine beiden Mitstreiter sich wieder auf`s Ohr legten, entschloss ich mich auf Nahrungssuche zu begeben.

Thomas 18, Berlin
Als erstes öffnete ich ein Glas Spreewaldgurken, die brauchten wir in Polen sowieso nicht. Nach Polen Gurken mit zunehmen war wie Tulpen nach Amsterdam zu tragen. Wenn es in Polen nichts gab, Gurken gab es wie Sand am Meer. Aber die Gurken machten nicht richtig satt, also zog ich los etwas Essbares aufzutreiben. Ich lief Richtung Alex und musste unter den Linden lang. Sonntag früh um 6.00 Uhr war ich alleine unterwegs. Wie ich so über den Boulevard lang schlenderte sah ich auf der anderen Straßenseite ein Bullentaxi. Da werde ich wohl bald Besuch bekommen, dachte ich so bei mir. Die lassen mich bestimmt nicht in Ruhe. Tatsache der Wartburg wendete an der nächsten Kreuzung und kam auf mich zugefahren. Kurz vor mir hielt das Fahrzeug. Einer der Polizisten stieg aus, stellte sich kurz vor, Wachtmeister Bösl, ihre Papier bitte. Ich gab ihm meinen Personalausweis, gewissenhaft blätterte er in diesem und fragte was machen sie hier? Kurz erzählte ich ihm die Geschichte, dass seine Kollegen uns vom Parkplatz gescheucht hatten und wo wir jetzt parkten. Einer der im Auto verbliebenen Polizisten griff zum Telefonhörer und telefonierte rum. Sie hielten mich solange fest, bis sie die Geschichte überprüft hatten. Dann gaben sie mir ihren Ausweis wieder und ließen mich laufen. Ich ging zur S-Bahn Station und fuhr zum Berliner Ostbahnhof. Doch die Mitropa Gaststätte hatte so Früh noch geschlossen, sie öffnete erst 10.00 Uhr. Hungrig machte ich mich auf den Rückweg. In einer Nische hockte ein Obdachloser und schlief. Das es so etwas in der DDR gab, ich hatte bis dato noch keinen Obdachlosen gesehen. Die Trapo scheuchte ihn hoch jagte ihn aus dem Bahnhof. Als ich wieder am Auto angelangt war standen Roland und Becki gerade auf. Becki sagte die Bullen waren schon wieder hier, aber haben uns in Ruhe gelassen. Ich sagte, ich weis und erzählte meine Erlebnisse. Roland meinte er wüsste in der Nähe des Friedrichstadtpalastes ein kleines Hotel, dort könnten wir prima Essen. Für 5 Mark bekamen wir ein fürstliches Buffet. Roland kriegte sich gar nicht mehr ein, es gab sogar Matjesheringe. Mir waren die Dinger zu salzig. Roland vernichtete eine Unmenge davon. Überhaupt was Essen anging war Roland der König. Wenn wir ihn ärgern wollten, riefen wir ihn Dicker. Becki fragte was machen wir bis heute Abend? Ich schlug vor, gar nicht bis Abends in Berlin rum zu lungern sondern mit dem Auto auf der Landstraße Richtung Frankfurt  / Oder zu fahren, dort wollten wir sowieso über die Grenze nach Polen. Unterwegs könnten wir ja einen Badestop am Stienitz See machen. Der Vorschlag kam gut an. Also packten wir uns in`s Auto und los ging es. Für  das Orientieren während des Fahrens war ich verantwortlich, im Karten lesen war ich unschlagbar. Da verließen sie sich meistens auf mich und so waren wir schneller als gedacht in Rüdersdorf. In Rüdersdorf bekamen wir das große Staunen, die Straßenbäume waren mitten im Sommer schloh weis. Das musste vom Zementwerk kommen, es war das Größte in der DDR. Wir suchten eine Badestelle am Stienitzer  See und gingen ins Wasser. Ich griff in das Wasser um eine handvoll Sand auf die Hand zu bekommen. Von Wegen Sand, ich hatte den blanken Kalk in der Hand. Roland verging die Lust aufs große Baden. Wir fuhren weiter die F1 bis Müncheberg, hier gabelte sich die Straße, Roland bog auf die F 5 nach Frankfurt.  In Frankfurt wollten wir  noch ein bisschen bummeln gehen. Roland rannte noch einmal zurück ans Auto er hatte seine Geldbörse auf dem Rücksitz liegen lassen. Er schlug die hintere Türe mit Schwung zu und die Scheibe riss von unten nach oben. Entsetz schaute er auf die Scheibe und sagte, Mülli wenn dir das passiert wäre, ich wäre verrückt geworden, das hätte ich dir nie abgenommen das so etwas passieren kann. Eigenartiger Weise änderte sich Rolands Einstellung mir gegenüber. Bei ihm lösten sich alle Anspannungen der letzten Wochen, er wurde ruhiger und ausgeglichener.  Er meinte nur, mit der kaputten Scheibe möchte er nicht nach Polen fahren, die deutsche Ostseeküste wäre ihm lieber. Wir diskutierten nicht rum, Roland gehörte das Auto, er hatte das Sagen. Ich kramte die Karte raus, er wollte nach Kap Arkona, also los ging es die Landstraße Richtung Stralsund. In der Nähe von Friedland gingen wir auf irgend so einer Klitsche Abendbrot essen. In der Kneipe waren wir für die Bäuerlein, wie Weltreisende von der anderen Seite. Stolz erzählten sie, dass sie jemanden kannten, der Verwandtschaft in Dresden hatte. Die Nacht schliefen wir nochmals im Auto. Am nächsten Tag schlugen wir auf dem Zeltplatz Dranske auf. Der war zwar voll aber für zwei Nächte musste der Platzwart uns aufnehmen, dazu war er gesetzlich verpflichtet. Während des Zelt aufbauens grub ich schnell noch 3 Flaschen Bier in den Ostseesand um die Flaschen herunter zu kühlen. Als ich wiederkam hatte die Ostsee die Flaschen frei gespült und eine trieb gerade Richtung  offenes Meer. Gleich mit Sachen machte ich hinterher, es wäre doch Schade ums Bier gewesen. Andere Camper hatten uns schon vorgewarnt, wenn es dunkel wird, hätten wir den Strand zu verlassen. Ansonsten jagt einen der Grenzer weg. Ich dachte die Leute spinnen aber gegen 22.00 Uhr tauchte wirklich ein Grenzer auf. Höflich sagte er zu uns: Jungs macht mir bitte keinen Ärger und geht zu euerem Zelt. Er machte ja auch nur seinen Dienst. Wir trabten Richtung Zelt. Dankbar rief er uns hinterher in zwei Stunden käme er wieder und verschwand hinter der nächsten Düne. Mit anderen Worten, wenn ich weg bin interessiert mich es nicht, was am Strand passiert. Wir gingen noch eine Runde nackt baden. Am nächsten Tag liefen wir an die Kreidefelsen von Rügen. Hier befand sich auch der nördlichste Punkt der DDR, Kap Arkona. Der nördlichste Punkt wurde von einem Leuchtturm markiert. Es war eine bizarre aber schöne Landschaft.  Die weisen Felsen und die  raue See, das war schon ein grandioser Anblick.  Ich musste an die vielen gemalten Bilder von dieser Landschaft denken, die ich auf Ausstellungen und in Zeitschriften gesehen hatte. Keines konnte dem Original das Wasser reichen. Es gab schon schöne Flecken in der DDR. Am nächsten Morgen mussten wir unsere sieben Sachen packen und einen neuen Zeltplatz suchen. Wir beschlossen unser Glück am Bodden zu versuchen. Nicht direkt an der See hatten wir vielleicht mehr Möglichkeiten einen Zeltplatz zu bekommen. Über Wiek fuhren wir zu Wittower Fähre. Hier setzten wir mit der Fähre über die Boddenmündung. Stück für Stück grasten wir die Zeltplätze am Bodden ab, sie waren genauso voll wie die direkt an der See. Schließlich fanden wir in der Nähe von Ralswiek einen der uns wenigstens 3 Tage aufnehmen konnte. Während wir unser Zelt aufbauten, krochen aus dem Nachbarzelt zwei langhaarige Typen und stellten sich uns vor. Der eine hieß Peter und der andere Jan. Abends beim Lagerfeuer erzählten sie uns, dass sie vor kurzem erst aus dem Knast gekommen wären, wegen Wehrdienstverweigerung. Ihre persönlichen Dokumente hätte die Polizei einbehalten, die würden sie erst wiederbekommen, wenn sie ausreisen könnten. Ich fragte sie, wie lange sie in Haft waren. 18 Monate meinte Jan, genauso als hätten wir dienen müssen. Wir sind im April entlassen worden. Roland war begeistert von den Typen. Ich sagte nicht mehr als zu viel solange Jan und Peter mit da saßen. Erst im Zelt sagte ich zu Roland, die wollen im Knast bis Ende April gesessen haben, schau dir mal den ihre Haare an, solang wie die sind, da reicht ein viertel Jahr nicht. Roland wurde nachdenklich, schließlich war er der jenige von uns der selber mal solche langen Haare hatte. Roland fragte, du meinst die wären von Guck und Horch? Ich meine gar nichts, du sollst nur einmal nachdenken, bevor du deinen Mund aufmachst, antwortete ich. So sind nun mal die Spielregeln in diesem Land.
Am nächsten Abend gingen wir zur Disco. Im Dorfgasthof brannte die Luft. Eifersüchtig wachten die Einheimischen über ihre Dorfschönheiten. Abends gegen 22.00 Uhr, ich hatte schon einen im Trobs, ging ich an den Tresen um mir neue Zigaretten zu holen. Ich hatte sogar Glück, der Wirt hatte Semper für 3,20 da. Ich kaufte gleich zwei Schachteln und steckte sie in meine Westentasche. Beim Tanz gabelte ich dann auch noch eine von den Dorfschönheiten auf. Es schien ein perfekter Abend zu werden. Die übernächste Tanzrunde wurde eine ruhige. Man kam sich beim Tanzen körperlich näher. Nach dem Tanz sagte meine blonde Schönheit, sie gehe mal kurz auf die Toilette sich frisch machen, sie käme gleich wieder. Nach 10 Minuten war sie immer noch nicht zurück. Ich ging sie suchen, sie war verschwunden. Ich griff nach einer der neuen Zigarettenschachteln und wollte erst einmal eine rauchen. Die Zigaretten waren weg. Jetzt wurde mir der Zusammenhang  klar, das Verschwinden von meiner blonden Schönen war kein Zufall. Na warte dacht ich, du alte Schlampe, wenn ich dich und den Kerl erwische der anfänglich mit ihr rumgelungert hatte, euch drücke ich in die Ecke. Aber sie blieben verschwunden, obwohl ich das halbe Dorf abgraste. Roland beruhigte mich und sagte, komm rauchste eine von mir mit. Wir blieben bis zum Anschlag und so sahen wir auch aus. Am schlimmsten hatte es Becki erwischt. Als ich am nächsten Morgen total verkatert aufwachte war Becki verschwunden. Verdammt dachte ich, wo kann er abgeblieben sein, er hatte es doch bis zum Zelt geschafft. Ich machte erst einmal den Zeltverschluss auf um frische Luft ins Zelt zu lassen. Ich dachte ich seh nicht richtig. Becki lag genau vor der Eingangstür und schlief im Dreck. Die Mücken hatten ihn zugerichtet, ich brauchte eine viertel Stunde um ihn von den Toten zu erwecken. Den Tag benötigten wir um nüchtern zu werden, faul legten wir uns ans Wasser. Aber es war gut so das wir die paar Sonnenstunden nutzten, denn am nächsten Tag regnete es gewaltig. Wir machten eine Inselrundfahrt. Hier oben wollte ich nicht begraben sein. Die Bäume waren ausschließlich dazu da, um den Horizont zu verstecken. Bis zum schlafen spielten wir dann Karten, der Regen trommelte sachte aufs Zelt, langsam schlummerte ich ein.
Am Morgen regnete es immer noch. Wir bauten das nasse Zelt ab. Um ehrlich zu sein, ich hatte keine Lust das nasse Ding noch einmal aufzubauen, denn die Feuchtigkeit würde es auf alle Fälle durchs Zelt drücken und wir müsten im Nassen liegen. Ich äußerte meine Bedenken. Roland und Becki teilten meine Meinung. Roland schlug vor Richtung Rostock zu fahren. Sollte das Wetter nicht besser werden, könnten wir von dort auf die Autobahn Richtung Berlin. Ich fand den Vorschlag gut.  Auf halber Strecke Richtung Rostock, blieb das Auto stehen. Roland und Becki schauten nach. Es war die Steckachse die ihren Geist aufgegeben hatte. Mittels eines Konus war sie mit dem Antrieb verbunden. Gesichert wurde die Verbindung durch eine Mutter, die am Ende des Antriebs aufgeschraubt wurde. Durch die Mutter und dem Antrieb wurde ein Splint gesteckt. Dieser fehlte, so hatte sich die Verbindung lösen können. Die Feder die den Konus gegen Verdrehung schützte hatte es weggeschert. Wir hatten Glück im Unglück, 100 Meter weiter befand sich eine alte Schmiede. Hier feilte ich aus einer 12er Schraube eine neue Feder. Aber der Konus war hinüber. Ein ordentlicher Sitz war nicht mehr gegeben. Es war abzusehen dass die Verbindung nicht  lange  halten würde. Unter diesen Umständen  war es besser Richtung Heimat zu fahren. Wir beschlossen noch eine Nacht in Berlin zu verbringen und dann am nächsten Tag nach Hause zu fahren. Auf der Fahrt fing es immer stärker an zu regnen. In Berlin, nähe Jannowitzbrücke, fanden wir einen Parkplatz. Roland wollte gerade auffahren als der Lada vor uns mit seinem Vorderrad in einem Loch verschwand. Verzweifelt rannte die Fahrerin um ihren schicken Lada. Wir stiegen aus und sahen uns das Dilemma an, ein Straßendeckel war samt Asphalt abgesagt. Den Deckel hatte es seitlich auf die Straße geschoben. Zu dritt hoben wir das Vorderrad aus dem Loch. Äußerlich schienen Achse und Felge noch ganz zu sein. Wir rieten ihr bei der Polizei eine Anzeige zu erstatten und das Auto in eine Werkstatt zu schaffen. Danach wollte Roland auf den Parkplatz fahren. Aber die Steckachse hatte sich wieder gelöst. Wir schoben den 1202 auf den Parkplatz. Die Lust auf Berlin war uns vergangen. Jeder von uns hatte Freifahrtscheine einstecken, Roland und Becki arbeiteten ja bei der Bahn. Wir schwangen uns in den nächsten Zug und ab ging es nach Hause.

Die letzten Urlaubstage verbrachte ich mit Conny. Sie hatte sich extra frei genommen. Wir gingen in die sächsische Schweiz wandern. Einen Tag fuhren wir in den Tharandter Wald nach Grillenburg gondeln. Das alte Jagdschloss in Grillenburg war mit einem Teich versehen, auf dem man Gondeln konnte.
Rolands Vater hatte für die Firma Schrottautos aus Berlin zu holen. Er konnte es einrichten, dass Rolands Auto mit nach Dresden gebracht werden konnte. Auf diese Art und Weise konnte  Roland sich seines Autos bald wieder erfreuen.


Sommer, Sonne, Sonnenbrand
Kleckerwolken Kieselsand
Ja die Ostsee macht was her
Was wollen wir denn am Schwarzen Meer*
* Lied Gruppe Possenspiel