Montag, 14. Februar 2011

Der Ernst des Lebens

Früh kurz vor vier sprang ich aus den Federn. Gott sei dank hatte ich mit dem Früh aufstehen kein Problem. Der Wecker bimmelte nur kurz und ich war munter. Den Kopf unters lauwarme Wasser, Zähne geputzt und in die Sachen gehopst. Fix Pfefferminztee gekocht ein paar Kniften für die Arbeit geschmiert plus Eine zum gleich essen, eine Tasse Tee geschlürft den Rest für die Arbeit abgefüllt und dann zum Bahnhof getobt. Eine Minute vor Abfahrt des Zuges stieg ich ein. Eine Fahrkarte brauchte ich mir nicht zu kaufen. Mein Vater hatte sie mir im Voraus gekauft bzw. bezahlt. Die nächsten Monatskarten sollte ich von meinem Lehrlingsentgelt bezahlen. Bei dem Gedanken kam wenig Freude bei mir auf. Letzter Freitag im Monat da sollte es den ersten Lohn geben, 80 Mark, das klang gut. Aber so eine Monatskarte kam ja schon alleine 18 Mark. Dann musste ich obligatorisch 20 Mark für die Beköstigung zu Hause abgeben. Mittagessen im Betrieb kam pro Tag eine Mark, zusammen waren das auch 14 Mark, es blieben für einen gerade mal, wenn alles optimal lief 28 Mark und da gab es ja auch noch die Berufsschule. Früher oder später musste ich mir etwas einfallen lassen. Pünktlich halb sechs ging der Arbeitstag los. Wir trafen uns alle im Versammlungsraum. Im Gegensatz zum Vortag war es heute ruhig in der Ausbildungsbaracke. Das 2. Lehrjahr hatte heute und morgen GST Ausbildung. Druckguss war mir der einzig bekannte Betrieb in und um Dresden, der diese Ausbildung tageweise durchführte. Meine anderen Schulkameraden aus der 10. Klasse mussten jedes Lehrjahr eine Woche lang, in ein Ausbildungslager. Das vom Bezirk Dresden befand sich in Schirgiswalde einem kleinen Ort in der Oberlausitz. Mein Lehrbetrieb nutzte den Donnerstag und den Freitag als Brückentag. Ab Montag begann für das 2. Lehrjahr wieder die Berufsschule.
Früh waren von den Lehrmeistern Leinert und Bär anwesend. Sie sollten uns das nächste Jahr begleiten. Als erstes gingen wir mit beiden Lehrmeistern Arbeitssachen und Werkzeugmarken ausfassen. Eine Etage über der Kantine befand sich die Kleiderkammer. Gegen Unterschrift erhielten wir unsere diversen Arbeitssachen bestehend aus zwei Jacken und zwei Hosen, mit Druckgußaufnäher im Brustbereich sowie ein Haarnetz mit Blende. Diese hässlichen Dinger fielen mir gleich am ersten Tag bei den Lehrlingen vom zweiten Lehrjahr auf. Sie waren nicht nur hässlich, sondern wie sich später rausstellte auch noch ekelig. Sie sogen die bei der Bearbeitung von Stahl entstehenden Dämpfe so richtig auf, dass man nach der Arbeit das Gefühl hatte, den Kopf in ein Ölfass gesteckt zu haben. Mit den Werkzeugmarken hatte es eine besondere Bewandtnis. Jeder Satz Marken war mit einer Nummer versehen und jede einzelne Marke hatte einen Wert von 10 Mark oder Alurubel wie wir oft über unsere Währung spöttelten. Wollte man für die Arbeit Messgeräte ausleihen oder andere Zusatzgeräte, wurde als Pfand eine Marke hinterlegt. Nach Beendigung der Lehre mussten die Marken wieder abgeben werden und für jede fehlende Marke galt es 10 Mark bezahlen. Also hieß es gut aufpassen.
Danach gingen wir in den Umkleideraum. Die Lehrlinge hatten einen Separaten. Jeder von uns bekam seinen Spind zugeteilt. Das Vorhängeschloss dafür hatten wir selber mitzubringen. Im Umkleideraum roch es nach kaltem Schweiß und altem Öl, also beeilten wir uns mit dem umziehen. Die Lehrmeister führten uns zurück in den Versammlungsraum. Tags zuvor waren ja die Gruppen für die Ausbildung eingeteilt wurden. Mir war es egal gewesen in welcher Gruppe ich landete, ich kannte eh dem Keinen. Anders sah das bei den Jungs aus Heidenau und Pirna aus, da gab es von vorn herein Grüppchen, die zusammen bleiben wollten. So kam ich halt zuerst in die Maschinenausbildung. Mit mir in der Gruppe waren die drei Thüringer, Rainer und Rainer sowie Hagen. Als Lehrmeister wurde uns Herr Leinert zugeteilt. Bis zur Frühstückspause wurden allgemeine Dinge besprochen. Eine Minute vor dreiviertel neun mussten wir uns in Zweierreihe anstellen und dann ging es ohne Tritt marsch, in die Kantine. Nach dem Frühstück begann die Arbeits – und die Brandschutzbelehrung. Ein Thema, wie mir relativ schnell bewusst wurde, dass in der DDR ganz groß geschrieben wurde. Bei Arbeitsunfällen mit größerem Sach - oder Personenschaden hatte man sofort die Polizei und den Staatsanwalt am Hals. Jeder Vorgesetzte versuchte sich so gut wie möglich abzusichern. Arbeitsschutzbelehrungen hatten monatlich statt zu finden. Kleinere Verstöße gegen den Arbeitsschutz, so wurden wir belehrt, führten automatisch zu einem Zensurenabzug. Mit anderen Worten wer z. B. am Ende des Arbeitstages die Note 2 erhielt, wurde auf die 3 herabgestuft. Größere Verstöße, wie etwa Alkohol während der Arbeitszeit bedeuteten automatisch, die Erteilung eines Verweises und ein sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes. Die anfallenden Fehlstunden mussten nachgearbeitet werden. Wir wurden ausdrücklich belehrt, dass an Maschinen mit rotierenden bzw. beweglichen Teilen der Kopfschutz zu tragen ist. Die Belehrungen wurden so durchgeführt, dass auch immer auf Betriebsunfälle hingewiesen wurden, die in der DDR passiert waren, bei nicht Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Das war nicht wirklich lustig und zum Teil grauenvoll. Das Mittagessen danach schmeckte nicht so richtig. Die Arbeitsschutzbelehrung mussten wir immer quittieren. Nach dem Mittagessen ging es endlich los, die Ein - und Unterweisungen an den Maschinen. Erst erfolgte eine allgemeine Einweisung. Jeder Lehrling wanderte mit von Maschine zu Maschine. Leini, so nannten wir Herrn Leinert heimlich, gestaltete das recht interessant. Er zeigte uns was so passieren kann, wenn man an den Maschinen Mist baut. Es war schon ganz schön beeindruckend als von der Schleifmaschine sich das zu bearbeitende Teil löste und mit einem Affenzahn in die Schutzvorrichtung knallte. Ich erschrak gewaltig. Eingeteilt wurde ich zuerst an der großen Drehbank. Sie war einfach gigantisch, imposant, phänomenal. Dass die Maschine bestenfalls eine Mittelgroße war wusste ich damals nicht und es wäre mir auch egal gewesen. An der kleinen Drehbank neben mir stand Hagen. Leini nahm uns beide zusammen und erklärte uns den Grundaufbau der Drehmaschinen. Begriffe wie Längstsupport, Quersupport, Zugspindel, Leitspindel, Dreibackenfutter und noch vieles mehr stürzten auf uns ein. Drehstähle aus HSS Stahl, mit Hartmetallblättchen auswechselbar, aufgelötet mit und ohne Spannut und noch vieles Andere, so langsam fing der Kopf an zu qualmen. Bevor wir zum Praktischen kamen, wieder Arbeitsschutz. Leini klärte uns auf über den Sinn des Futterschutzes. Im geschossen Zustand lag der Schutz halbkreisförmig über dem Backenfutter und man konnte die Drehmaschine in betrieb nehmen. Nach Beendigung des Arbeitsvorganges klappte man den Futterschutz einfach in die Senkrechte. Dabei drückte der Schutz gegen einen Endschalter und es war nicht mehr möglich die Maschine in Betrieb zu nehmen, so lange der Futterschutz geöffnet war. Anschließend konnte man das Werkzeugteil wechseln. Der Futterschutz war mittels einer Stange an der Maschine befestigt. Auf dieser konnte man den Schutz hin und her schieben oder abnehmen. Arretiert wurde er mittels Schrauben. Täglich mussten wir kontrollieren ob der Schutz auch richtig saß, um Arbeitsunfälle zu vermeiden. Der Maschinenpark in der Lehrwerkstatt war schon leicht betagt. Aber nicht nur der, auch in der Produktion gab es viele ältere Maschinen. Es waren auch kaum deutsche Werkzeugmaschinen darunter. In der Lehrwerkstatt war die jüngste Maschine eine Shaping ca. 5 Jahren alt. Die meisten Maschinen kamen aus der Tschechoslowakei und waren in erster Linie Fräsmaschinen. Meine Drehbank war auch aus dem Nachbarland. Hagen seine Drehbank kam aus Ungarn. Der Hintergrund das die Maschinen aus dem sozialistischen Ausland kamen war ganz einfach, sie waren preiswerter wie die Deutschen, die für den Export bestimmt und qualitativ hochwertige Maschinen waren. Das konnte man nicht unbedingt von den Maschinen aus den sozialistischen Ländern sagen. Die einzige Maschine die in der DDR hergestellt wurde war die Shaping. Dann waren da noch einige Raritäten, Fräsmaschinen aus dem dritten Reich, von der Firma Thiel. Diese hatten bereits über 40 Jahre auf dem Buckel und standen nur für den Notfall rum. Dazu kam noch eine kleine Shaping aus der unmittelbaren Nachkriegsproduktion. Die hatte ihr Geld schon lange gebracht und wurde trotzdem noch genutzt. Wenn der Hobelmeißel ordentlich geschliffen war, konnte man maximal zwei Millimeter mit einem Mal abhobeln, ansonsten blieb sie stecken. Bevor wir richtig mit der Arbeit loslegen konnten mussten wir die benötigten Hilfsmittel für die Arbeit ausfassen, wie z. B. Messschieber und Bügelmessschrauben. Diese Hilfsmittel sollten uns nun fortan täglich begleiten und unsere wichtigsten Helfer werden. Dann war es endlich soweit, das erste Mal die Drehmaschine in Bewegung gesetzt, die ersten Späne, ein geiles Gefühl. Zumindest solange bis die Spitze vom Drehmeißel abbrach. Herr Leinert zeigte mir wie der Drehmeißel richtig angeschliffen wurde. Ich hatte gewaltigen Respekt vor den Schleifscheiben. Vor der Spannut schleifen hatte ich regelrecht Angst. Ich spürte langsam aber sicher, dass es noch ein verdammt weiter Weg war, ehe man ein guter Facharbeiter wurde. Der Hammer des Tages kam eigentlich erst eine dreiviertel Stunde vor Feierabend, das Säubern der Maschinen. So etwas hatte überhaupt noch nicht erlebt. Wie pingelich und kleinlich auf einmal die Lehrausbilder wurden. Zuerst die Maschine von allen Spänen befreien aber wirklich von Allen, bis in die kleinste Ritze. Ich nörgelte rum, ob denn das wirklich sein müsste. Das war das Stichwort für Leinert. Wie von der Tarantel gestochen drehte er sich auf dem Absatz rum, kam auf mich zugesaust und blaffte mich an, ob ich denn noch normal wäre, das die Maschinen in so einem guten Zustand wären, läge in erster Linie an der guten Wartung und Pflege. Keiner hier sollte sich einfallen lassen, sie zu vernachlässigen. Ich sah wie Zwiebel`s Kopf noch tiefer in der Schleifmaschine abtauchte und er umso eifriger seine Maschine wienerte. Wie ein begossener Pudel stand ich da und sah zu das ich die Drehbank in einen ordnungsgemäßen Zustand brachte. Das hieß mit den Putzlappen die Maschine von der Kühlflüssigkeit und den alten Schmiermitteln zu befreien, Backenfutter säubern, etc. Anschließend wurde die Maschine wieder mit neuen Schmiermitteln versehen. Zu guter letzt kam Leinert und kontrollierte peinlich genau, ob die Maschinen auch wirklich sauber waren. Logischer Weise fand er bei jedem etwas, schließlich kannte er ja seine Maschinen schon viele Jahre. Nichts war mit pünktlich Feierabend, der Zug war fort und meine Nase lang. Zu guter Letzt gab es noch die ersten Zensuren, in Ordnung bekam ich eine 3, natürlich als Einziger, wegen rum lumperns. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, das wurde mir sehr schnell klar gemacht. Eine Steigerung des Reinigens der Werkzeugmaschinen gab es Freitags, dem letzten Tag vor dem Wochenende. Zwei Stunden vor Feierabend begann das große Reinemachen und Leinert sorgte dafür, dass keine lange Weile aufkam. Ich verkniff mir jeglichen Kommentar dazu. Am liebsten ging ich Putzlappen tauschen, das machte ich freiwillig, da konnte man sich schön verkrümmeln.
                                                                      

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