Montag, 14. Februar 2011

Zuhause



Meine Bruder, mein Vater und ich wohnten im ehemaligen Schweizer Villenviertel, unweit des Dresdner Hbfs. Von den Villen war freilich nicht mehr viel übrig. Ungefähr 90% waren im letzten Weltkrieg zerbombt worden und mussten abgerissen werden. In unzähligen Aufbaustunden hatten die Eltern von uns Jugendlichen nach ihrer Arbeit die Wohngegend wieder mit aufgebaut. Es entstanden Mehrfamilienhäuser mit max. 4 Etagen, Spitzdächer und
4 – 6 Hauseingängen. Die Höfe waren großzügig angelegt und wunderschön. Erstaunlicher Weise hatten viele alte und seltene Bäume den Krieg unbeschadet überstanden. So gab es verschiedene Buchen, Eichen, Tulpen - und Magnolienbäume. Was für uns Kinder und Jugendlichen noch viel wichtiger war, es gab auch Obstbäume. Die wenigsten Früchte erreichten ihre volle Reife. Außerdem gab es in jedem Hof Spielplätze, die unterschiedlich eingerichtet waren. Unser hatte unter anderem einen kleinen Fußball - oder wie der Dresdner sagt einen Bäbbelplatz. Schließlich gingen wir auch nicht Fußball spielen, sondern bäbbeln. Die Wohnung von meinem Vater, Mutter war nach der Scheidung ausgezogen, war eine Vierraumwohnung bestehend aus Wohn und Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer, Korridor, Bad und Küche. Das Bad war ordentlich eingefliest, das war keine Selbstverständlichkeit. Viele Altbauwohnungen verfügten über gar kein Bad und wenn hatten viele keine Fliesen. Die ersten Tage nach Beginn der Lehre hatte ich mit mir selber zu tun. Der neue Lebensabschnitt schlauchte Anfangs schon ganz schön. Es dauerte ein paar Wochen bis man sich an den neuen Rhythmus gewöhnt hatte. Aber man hatte auch viel zu erzählen. Zuhörer waren schnell gefunden. Schließlich waren wir 4 Jungs und ein Mädel die im gleichen Hauseingang wohnten und gemeinsam in eine Klasse gingen. Dazu kamen noch einige Freunde die mit im gleichen Hof wohnten und nur 1 bis 2 Jahre älter oder jünger waren. Nach dem Abendbrot trafen wir uns oft im Hof und quatschten über Gott und die Welt. Anfangs saßen wir fast alle zusammen, so langsam aber sicher bildeten sich verschiedene Gruppen und Grüppchen, je nach Interessenlage. Ich war viel mit Andreas Becker zusammen. Er wohnte im gleichen Haus wie ich aber im Nachbareingang. Wir gingen nicht nur 10 Jahre in eine Schule, gemeinsam hatten wir in den letzten Schulferien die ostdeutsche Ostseeküste von Wismar bis Usedom abgetrampt. Andreas lernte KFZ – Schlosser im Kraftwagenbetriebswerk der Bahn   ( KBW ). Seine Mutter arbeitete auch bei der Bahn, da lag es nahe, dass sie ihren Filius ebenfalls in der Firma unterbrachte. Beziehungen waren in der DDR ohne hin Lebensnotwendig. Wer keine hatte war arm dran. Andreas hatte mit 14 Jahren sein Mopedschein gemacht und sich ein Moped gekauft. Für ein Neues hatte es nicht gereicht, aber immerhin für ein Simson Moped der Marke Star. Das bekam man auch ohne Wartezeiten. Für das neuste Moped der Marke S 50 / 51 hätte er wenigstens ein ¾ Jahr warten müssen. Bei mir hatte es nicht mal zu einem Mopedschein gelangt. Da ich bis dato ein eifriger Radfahrer war, interessierte ich mich nicht allzu sehr dafür. Aber Andreas schraubte viel am Moped, war doch klar. Irgendwie musste der Auspuff frisiert werden, neue Ritzel mussten drauf, um den Fahrzeug noch 10 km/h mehr zu entlocken. Meistens schraubte er mit Roland Arnold. Roland wohnte mit Andreas im gleichen Hauseingang, war ein Schuljahr älter wie wir und lernte ebenfalls im KBW KFZ – Schlosser. Er war ein prima Kerl, ich kam auf Anhieb klar mit ihm. Roland hatte richtig kräftiges Haar. Er konnte es sich leisten seine Haare über die Schulterblätter wachsen zu lassen. Das brachte einem in der DDR mitunter im täglichen Leben viel Ärger ein. Er passte mit dieser Frisur nicht in das sozialistische Erscheinungsbild. Ständig wurde er gegängelt auf Arbeit und in der Schule. Für meinen alten Herrn war Roland sowie so ein rotes Tuch. Laufend löffelte er mich voll, ich sollte mir vernünftige Freunde suchen und nicht so einen Gammler. Da war er bei mir genau richtig, ich schaltete voll auf Durchgang und ging lieber mit Roland ein Bier trinken. Da Bier trinken in fröhlicher Runde mehr Spaß macht, kam im Schlepptau von Roland auch noch Frank und Andreas mit. Frank Hünersen ging mit Roland in die Klasse und lernte bei der Bahn Lokschlosser. Er war ebenfalls motorisiert und fuhr einen Berliner Roller. Mit 16 Jahren hatte er die Motorradprüfung gemacht, um so ein Ungetüm fahren zu können. Was Mädels an ging war Frank, ein ganz Lockerer. Ihm war es egal wie sie aussahen, Hauptsache er hatte was vor der Flinte. Am verrücktesten war es beim Tanz, wenn wir schon einen richtig geladen hatten. Am nächsten Tag fragten wir oft grinsend, na wie war`s?? Die Antwort war immer die gleiche: Bin am Morgen ganz schön erschrocken.
Mit der Zeit bildeten wir vier eine recht harmonierende Truppe, ohne uns permanent auf die Pelle zu gehen. Jeder von uns hatte noch genug Raum und Zeit für andere Dinge, die in unserem jugendlichen Leben eine wichtige Rolle spielten. In unseren politischen Ansichten waren wir alle mal so tolerant das wir uns kaum deswegen in die Haare kriegten. Andreas und ich standen in einer gesunden Opposition zum Vater Staat, Frank war sogar christlich geprägt. Er ging Weihnachten in die Kirche, irgendwie fand ich das merkwürdig und unzeitgemäß. Die Kirche war mir im laufe der Zeit suspekt geworden. Ja und Roland hasste die Kommunisten und das obwohl sein Vater in der Partei war. Die Kirche war ihm genauso Wurst wie mir.




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