Montag, 14. Februar 2011

Weihnachtszeit

Es war Ende November, die Zeit der Weihnachtsfeiern begann in vielen Betrieben. Bei uns in der Firma gab es so etwas nicht, da gab es nur FDJ – Versammlungen, einmal im Monat. FDJ – Sekretär war ein Lehrmeister, er hieß Badel und war mit Abstand der jüngste Lehrmeister. Er machte so eine Art Springer, wenn mal ein Lehrmeister aus viel übernahm er die Lehrlinge und das kam öfters vor. Kein Wunder bei dem Führungsstiel von Eckhold. War die FDJ – Versammlung während der Arbeitszeit musste jeder teilnehmen. Aber das kam nicht oft vor. Nach Feierabend hatte ich keine Zeit für so einen Unsinn, dass rote Rumgesülze ging mir auf den Wecker. Badel bat mich mehrmals an den Versammlungen teil zu nehmen. Meine Reaktion darauf, ich trat aus der FDJ aus. Er nahm es mir nicht weiter krumm, ich hatte das Gefühl, er machte diesen Shop nur weil er musste. Jedenfalls bastelten wir mal wieder an Rolands Auto rum. Wir wollten die Löcher im Bodenblech dichtmachen. Roland sagte, unsere Brigade hat am Freitag Weihnachtsfeier. Ich fragte ob die Lehrlinge da mit feiern dürfen? Er bejahte, Sie wollten in den Ratskeller gehen.
Samstagnachmittag ging ich zu Arnolds und bimmelte. Frau Arnold machte die Tür auf. Hallo Thomas komm rein, sie schaute noch mal ob noch andere im Treppenhaus rum schlichen. Roland geht es nicht gut, sagte sie. Er liegt im Bett, er wird es dir selber erzählen. Ich ging in sein Zimmer. Da lag er mit einem blauen Auge. Wie siehst du denn aus, fragte ich?? Ach hör auf, die Polizei war auch schon da. Was ist denn passiert?? Wir haben ganz schön Mist gebaut. Gefeiert haben wir im Ratskeller bis 23.00 Uhr Dann ist einer auf die Idee gekommen in die Liga nach Hellerau zu fahren mit meinem Auto. Erschrocken sagte ich, du hast doch noch gar keine Fahrerlaubnis. Er sagte, Martin ist gefahren. Aber der hatte auch schon sechs Bier getrunken. Ihr seid ja verrückt, ich war entsetzt. Wir waren 5 Mann. An der Kreuzung Radeburger / Hellerstraße ist er volles Rohr gegen die Litfasssäule geknallt. Eigentlich wollten wir das Auto an den Fahrbahnrand schieben und uns verdrücken aber Rainer hatte die Hose voll. Er ist zum nächsten Telefonhäuschen, hat die Bullen gerufen und jetzt haben wir den Salat. Sei froh das du das Auto nicht gefahren hast, sagte ich. Aber ich bin der Besitzer, da kann es passieren, das ich auch mit dran bin und du weist ich mache gerade die Fahrerlaubnis. Sag mal ist dir eigentlich was passiert, außer deinem blauen Auge fragte ich?? Na ja paar Prellungen und Hautabschürfung sonst geht es. Am Montag gehe ich wieder arbeiten. Als Roland am Montag auf Arbeit kam, war der Unfall schon Betriebsgespräch Nummer1. Roland hatte Glück, der Unfall hatte keine Auswirkungen auf seine Fahrschule. Zwei Tage später stand der verunfallte Skoda vor Arnolds Garage. Uli Arnold und sein Kumpel Manne hatten das Auto abgeschleppt. Die Karosse war hinüber, nicht nur das sie im Frontbereich totalen Klarschlag hatte, sie war auch restlos verzogen. Am Wochenende bauten Roland und Hüni den Motor aus. Ich war wie immer für die Hilfsarbeiten zuständig. Herr Arnold hatte einen mittelprächtigen Dreifuß besorgt. Mit seiner Hilfe zogen wir den Motor aus dem Motorraum. Das war alles gar nicht so einfach, zuerst mussten die ganzen Zuleitungen zum Motor entfernt werden. Anschließend musste der Motor noch aus seiner Halterung gelöst werden, zu guter letzt das Getriebe. Das Getriebe wurde während der Montage auf Böcke gesetzt, damit es nicht planlos nach unten raus viel. Zuerst hatten wir versucht den Motor samt Getriebe raus zu ziehen aber diese Versuche scheiterten mehrmals. Als wir den Motor endlich raus bugsiert hatten, stellte Roland fest, dass er gar kein Orginal 1202 Motor war, sondern vom aktuellen Model 1203. Er musste erst wenige Tage vorm verschrotten eingebaut worden sein. Damit war das Geheimnis gelüftet, warum das Auto so schnell fuhr. Wir schlachteten es vollkommen aus.

Schöne Zeit, warme Zeit war vorbei
als ein Sturm mir brach das Boot entzwei.
Warf es an den Strand
wo’s ein Ende fand.
Dieses Boot war mein Traum, doch vorbei.
Lebe wohl, weißes Boot, lebe wohl
Meine Liebe, mein Traum mein Idol,
Flammensegel steigt,
bis der Wind sich neigt.
So ein Boot bleibt mein Traum alle Zeit.

Genauso wie in diesem Lied der roten Gitarren, fand Rolands weißes Boot sein Ende, schneller als gedacht. Aber Roland hatte ja noch mehr abgewrackte Autos da stehen. Im Frühjahr wollten wir uns die dann näher betrachten.
Um ehrlich zu sein, mir graute vor den Weihnachtsfeiertagen, egal das sentimentale Getue. Die zerrütteten Familienverhältnisse gaben das Übrige dazu. Vater hatte einen Weihnachtsbaum gekauft, wie jedes Jahr eine Kiefer. Viele sagten eine Kiefer sieht nicht schön aus. Ich empfand dies aber nicht so und sie hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber einer Fichte, sie nadelte viel weniger. Am 24.12. Vormittags machten wir uns über das Schmücken des Weihnachtsbaumes her. Das Einpassen des Weihnachtsbaumes in den Weihnachtsbaumständer bekam mein Bruder übertragen. Für solche „Hoch wissenschaftliche Arbeiten“ war ich natürlich zu blöd. Nach einer Stunde vergeblichen Mühens Beschwerde sich mein Bruder bei Vater, das er es allein nicht schafft. Sofort bekam ich den Anschiss, weil ich ihm nicht geholfen hatte. „Freundschaftlich“ sagte ich zu meinem Bruder, hau ab du Blödmann und schaute mir das Corpus Delikti an. Der Baumstamm musste ein ganzes Stück verjüngt werden. Da brachte es gar nichts wenn man mit einem Küchenmesser daran rum schnitzt. Ich schnappte mir den Baum und den Ständer verschwand damit in den Keller. Mit Hilfe von Beil und Säge passte ich den Baumstumpf ein. Anschließend schaffte ich den Baum in die Wohnung und stellte ihn in die Ecke. Tobias meinte der Baum würde nicht gerade stehen und spielte noch eine Weile an den Einstellschrauben. Dann begann das Schmücken, plötzlich fing der Baum an sich zu neigen. Ich konnte ihn gerade noch so auffangen. Vater fing schon wieder an rum zumeckern. Nichts kann man dich alleine machen lassen. Ich schaltete auf Durchgang und ging. Eine halbe Stunde später hörte ich dann ihre Selbstbeweihräucherung, wie schön, wie gut und das Westlametta. Richtige Spießbürger, einfach nur ekelig.
Das Beste an Weihnachten war der Kartoffelsalat. Mein Vater machte einen richtig Guten mit ganz viel ausgelassenen Speck, Apfel, Kapern, saurer Gurke und als Clou mit Ketschup und dafür keine Majo. Er schmeckte einfach Klasse. Obwohl mir vom Mittag noch der Broiler im Hals steckte, verdrücke ich eine ganze Menge davon. Ich war froh, dass es mittags keine Gans gab. Kochen und Braten, war das Hobby meines Bruder, genauso wie das „Vernichten“ des selbst zu bereiteten. Man musste es einfach anerkennen, kochen konnte er wirklich gut. Ich bekam es öfters von Vater auf die Bemme geschmiert. Das hatte auch seinen Vorteil, da war man schon vorm Essen satt.
Der Weihnachtsabend war die reinste Tristesse. Wir hockten alle vorm Fernseher, zuerst kamen Lieder aus dem Arzgebirg in Mundart gesungen, wenn’s Rachermannl. nabelt. Ich dachte, bei denen nabelt’s im Kopf. Warum können die nicht mal was für Jugendliche bringen? Jedes Jahr das Selbe, anschließend kam Weihnachten in Familie mit Frank Schöbel. Dieser alte Schlagerheini, das Einzig interessante war, ob er wieder eine neue Frau hatte oder ob eine seiner Frauen schwanger war. Ich zog mich zurück, Buch lesen. Da konnte man nichts verkehrt machen. Erster Feiertag, mittags gab es Sauerbraten mit Klößen, das Fleisch hatten wir drei Tage lang eingelegt, die Klöße waren hausgemacht, ein Gedicht. Nachmittags raffte ich mich auf und ging zu Roland. Vater machte Theater, du kannst am Feiertag nicht zu fremden Leuten gehen. Ich sagte Arnolds sind keine fremden Leute und verschwand. Roland hatte schon auf mich gelauert. Er hatte auch die Nase voll. Mit seinen Eltern und Oma drei Tage zu feiern war auch nicht sein Ding. Sein großer Bruder hatte im letzten Jahr sein Zimmer mit der Wohnung von der Oma getauscht. So war jedem geholfen, die Oma konnte immer schlechter gehen und musste versorgt werden, Uli hatte eine Wohnung. Als Junggeselle war es nahezu aussichtslos eine Wohnung zu bekommen, Wartezeiten von 6 – 8 Jahren waren angesagt. Da war man in der DDR gewöhnlich schon das erste Mal geschieden. Roland und ich gingen in Mitropa, bei einem Bier bequatschten wir den morgigen Tag. Im Clubhaus Niedersedlitz spielte die Gruppe Toast, da wollten wir hin ohne Jeans. Live Auftritte kosteten zwar 6 Mark Eintritt, aber wir hatten Weihnachten auch Bargeld bekommen, da war es kein Problem.
Ich sagte zu Roland, sag mal, du hast doch ein recht harmonisches zu Hause. Hast du schon mal richtig Stress mit deinen Eltern gehabt?? Er überlegte eine ganze Weile, dann sagte er ja, das ist aber schon ein paar Jahre her. Da hatte ich das Parteiabzeichen vom Jackett meines Vaters abgemacht und an seinen Hut geheftet. Er  trug damals so ein Schiffchen, wie es vor  4-5 Jahren Mode war. Genau an die Spitze habe ich es gesteckt. So ist er 14 Tage rum gerannt, bis ein Kollege ihn gefragt hat, ob die Partei ihm so am Herzen liegt, das er das Parteiabzeichen an der Mütze trage. Gedacht habe ich mir nichts dabei, eigentlich wollte ich was Gutes tun. Dafür hat mich mein Vater übers Knie gelegt. Ich musste lachen.
Am nächsten Tag sagte ich zu meinen Vater, ich gehe ins Konzert. Erstaunlicher Weise moserte er überhaupt nicht rum. Er fragte nicht mal wohin und wer spielt. Also machten Roland und ich 17.00 Uhr los und fuhren mit dem Zug nach Niedersedlitz. Karten waren kein Problem. Wir gingen in den Saal, uns verschlug es die Sprache. Wir waren die Einzigen, in einem Saal wo 200 Leute rein passten. Bis 18.00 Uhr kamen noch 5 Leute. Die Band spielte zwei Titel und meinte danach, dass ihr das keinen Spaß macht vor 7 Hanseln zu spielen, was mir ja irgendwo auch einleuchtete. Sie setzten sich zu uns runter und wir quatschten über Gott und die Welt. Gott hieß bei den Musikern DM und Welt, Jeans. Wo sie preiswert die DM schwarz tauschen konnten und was es für Wege und Möglichkeiten gab an die Top aktuellsten Jeansmodelle ran zu kommen. Einer der Musiker spendierte mir ein paar Bierchen, wir plauderten über die Frauen. Er lud mich ein mit ihm ins Hotel zu gehen, da wären prima Girls. Ich sagte klar, kein Problem, wo ist denn das Hotel? Er sagte am Bahnhof Neustadt das Hansahotel. Schön dachte ich, da können wir gleich mit dem Zug hinfahren. Wir tranken noch zwei Bierchen und machten dann los. Roland hatte keine Lust. Wir fuhren mit der Straßenbahn zur Haltestelle Bahnhof Dobritz. Unterwegs meinte er, sollten zufällig keine Damen da sein, wüsste er noch etwas Besseres.  Ich dachte, was meint er da?? Als wir in den Zug stiegen, fing er wieder an, das er noch was Besseres wüsste. Da machte es bei mir bing, der alte Drecksack war einfach nur schwul. Da half nur eins, erst mal cool bleiben und ihn dann austricksen. Er war einen Kopf größer als ich und wog wenigstens das Doppelte von mir. Als erstes setzte ich mich so dass andere Leute im Zug mich sehen konnten. Viele waren es ja nicht, aber wenigstens ein Paar. Er wollte mir an die Hose. Ich sagte hör auf, ich bin doch kein Stricher, bis zum Hotel wirst du wohl noch warten können. Sein Blick wurde richtig gierig. Der Zug hielt in Dresden Strehlen die paar Leute die im Wagon saßen stiegen aus. Er fing an mich zu belauern. Ich hatte nur noch einen Gedanken, du musst raus. Ich wartete bis der Zugführer abpfiff. Blitzschnell sprang ich auf und rannte auf der Seite zur Tür, wo der Weg länger zum Ausgang war. Das hatte er nicht erwartet. Als ich absprang ruckte der Zug gerade an. In Zwischen war der schwule Sack zum Ausgang gelaufen, der dem Sitzplatz näher war. Zu spät für ihn, der Zug hatte schon volle Fahrt aufgenommen. Ich rannte durch bis zum Wasaplatz, dort waren jede menge Menschen. Erst hier fühlte ich mich vor ihm sicher. Noch nie in meinem Leben hatte ich mit Schwulen zu tun gehabt und dann gerade ich gleich an so einen. Wenn ich so etwas mit einer Frau gemacht hätte, würde ich sofort weggesperrt werden und so was wie der darf draußen rum laufen. So verging auch der zweite Feiertag.

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