Dienstag, 15. Februar 2011

Literatur und Schundliteratur

Mit beginn des dritten Lehrjahres begann für mich der Schichtbetrieb. In der Dreherei und der Fräserei wurde in zwei Schichten gearbeitet. Das war ein völlig neuer Lebensabschnitt. Mir persönlich viel die Umstellung nicht allzu schwer. Ich war sowieso ein Typ der spät ins Bett ging  und zeitig aufstand. Kille der in der Fräserei arbeitete hatte da mehr Probleme. Unsere Firma hatte auch den 3 – Schichtbetrieb erwogen. Aber in einer Studie hatte sich herausgestellt, dass in der dritten Schicht die Leistungskurve stark  nach  unten  zeigte.  Die Firmenleitung  befürchtete  zu  starke  Qualitätsschwankungen, also blieb es beim 2–Schichtsystem. Die zweite Schicht begann 14.00 Uhr und endete 23.30 Uhr. Von der Zeitaufteilung hergesehen war es die uneffekttiefste  Schicht. Selbst ich gewöhnte mich schnell daran bis 8.00 Uhr zu schlafen. Gegen 12. 00 Uhr aß man Mittag, gegen 13.00 Uhr ging es auf Arbeit und nach Schichtschluss ins Bett. Meistens las ich vorm Einschlafen noch eine halbe Stunde in einem Buch. In der Regel waren es Geschichtsbücher und Abenteuerromane. Mich interessierten vor allem Bücher über alte Indianerhochkulturen, das römische Reich und Bücher über die germanische Kultur. Ab und zu konnte ich mich auch für die Sciencefictionliteratur begeistern. Ein besonderes Steckenpferd von mir waren Kriegsbücher. Aber nicht irgendwelche Hurra – Kriegsliteratur a la vier Panzersoldaten und ein Hund, sondern Bücher die die Grausamkeit des Krieges und das endlose Leid der betroffenen Menschen aufzeigten. Allerdings gab es da nicht allzu viele Bücher in der DDR. Schundliteratur zu diesem Thema gab es genügend. Von Soldaten die mit der Handgranate in der Hand starben und ihren letzten Gedanken der ruhmreichen Heimat widmeten bis zu Kindersoldaten die ganze Kompanien feindlicher Soldaten vernichteten. Klassische Vorbilder für solche Schmierfinken gab es genug. Wenn ich an so ein Buch geraten war musste ich immer an Gavroche von Victor Hugo denken. Für den Knirps war das Leben auch schon zu Ende bevor es richtig begonnen hatte. Als Kind konnte ich mich für so etwas begeistern. Aber jetzt entsetzte mich so etwas immer mehr. Der Zwiespalt in mir wurde immer größer. Es ließ mir einfach keine Ruhe. Ich musste und wollte auch zur Armee. Klar die Heimat sollte ja geschützt werden. Aber immer mehr schloss ich die Roten aus meiner Heimat aus. Schundliteratur fand man oft in den Groschenheftchen am Zeitungskiosk.



Bevor ich zur zweiten Schicht ging, machte ich hin und wieder am Zeitungskiosk im Hauptbahnhof einen Zwischenstopp. Hier gab es eine ganze Menge solcher Heftchen von den unterschiedlichsten Verlagen. Ich teste die einzelnen Verlage und kam nach dem fünften oder sechstem Heft des Militärverlages zu dem Schluss, so etwas müsste verboten werden. Der Grundtenor der in den Heftchen unterschwellig mitschwang war das Allerletzte. Ein richtiger Mensch ist nur ein Kommunist, der bereitwillig sein Leben für den Kommunismus einsetzt. Egal ob im KZ, an der Front oder im Feindesland, Hauptsache er war bereit, mit stolzgeschwelter Brust und klassenbewusst den Tod zu empfangen.

Wenn ich da an die Genossen in unserem Haus dachte, kamen einem sofort die Zweifel an dem Geschriebenen. Sie waren genau solche Menschen wie jeder Andere, mit ihren guten und schlechten Seiten und es war kaum anzunehmen dass sie ihr Leben für die Sache opfern würden. Dachte ich an Wowi, den drei Groschenjungen, erschien das Geschriebene zu einer grotesken Maske zu erstarren, der würde doch sein Vaterland für eine Flasche Bier verkaufen.






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