Montag, 14. Februar 2011

Die Lehre

 Lehranfang 1. September, ich wollte keinesfalls zu spät auf Arbeit kommen, erster Arbeitstag das war schon was ganz besonderes. Ich nahm lieber einen Zug eher, damit ja nichts schief ging. Werkzeugmacher lernte ich und war darauf stolz wie Oscar. Nicht jeder konnte diesen Beruf erlernen, da musste schon das Zeugnis stimmen. In der DDR war zwar jedem Jugendlichen ein Lehrplatz gesetzlich garantiert, das hieß aber noch lange nicht, das jeder seinen Wunschberuf erlernen konnte. Etwas Besonderes an der Lehrplatzgarantie fand ich nicht dabei, ich kannte es ja nicht anders. Es war neben Elektriker der Beruf, bei dem man 2 ½ Jahre ausgebildet wurde. Die meisten Schulabgänger der10. Klasse lernten 2 Jahre. Mein Ausbildungsbetrieb war die Firma VEB Druckguss Heidenau. Heidenau war ein Vorort von Dresden, mit der S – Bahn fuhr man ca. 20 Minuten vom Dresdner Hauptbahnhof. Für mich war dass günstig. Ich wohnte nur 2,3 Gehminuten vom Hbf entfernt und genauso viel Zeit benötigte man nach dem Aussteigen in den Betrieb. Kurz nach Sechs kam ich am Werktor an. Obwohl ich ziemlich zeitig dran war, warteten schon zwei Mitstreiter. Wie sich später rausstellte waren beide Cousins und hießen Rainer. Manch Einer, wurde von einem Elternteil hingebracht. Ich fand das albern. Punkt halb sieben erschien einer der Lehrausbilder, die meisten hatten ihn bei der Bewerbung im Betrieb schon kennen gelernt. Er hieß Bär, war ein großer vierschrötiger Typ, Mitte- Ende Fünfzig, der etwas ungelenk wirkte aber durchaus sympathisch. Er führte uns, die neuen Lehrlinge, durchs Betriebsgelände zur Lehrbaracke. Aus ihr strömte ein eigentümlicher Dunst von Maschinenöl der uns Jungs für die nächsten Jahre begleiten sollte. Im Anschluss ging es in den Versammlungsraum, dieser befand sich in der Lehrbaracke. Beim Betreten dieser grinste so mancher Lehrling vom 2. Lehrjahr hämisch, was wohl so viel heißen sollte, ihr seid die Neuen und wir die Alten. Mich störte es nicht.
Zuerst wurden die Lehrkräfte vorgestellt. Ich staunte nicht schlecht, wie das so aufgebaut war. Für die Werkzeugmacher standen 6 Lehrmeister zur Verfügung. Für die Gießer, die im Dohnaer Werk lernten nochmals 4 und für die Bürokräfte, sprich Fachzeichner und Sekretärin standen Lehrfacharbeiter den jungen Damen zur Seite. Über den Lehrmeistern für die Werkzeugmacher stand der Chef der Lehrbaracke und ganz oben trohnte wie so bei einer Lehenspyramide, der Chef der gesamten Lehrausbildung, Conny Eckhold, der Schrecken der Lehrlinge und vor allem der Lehrmeister. Im Auftreten einem Patriarchen gleich, erklärte er wortgewaltig was er von den Lehrlingen alles erwartete und vor allem was uns erwartete. So stellte ich mir einen Kapitalisten vor, einen richtigen Ausbeuter. Ich beschloss für mich, Eckhold so weit es möglich war, aus dem Weg zu gehen. Ja und dann begann das Große bekannt machen der Lehrlinge, wir wurden in zwei Gruppen geteilt. Die Einen begannen ihre Lehrausbildung mit rein handwerklicher Tätigkeit dem Werkzeugbau, sprich Feilen, Bohren, Sägen und die Anderen begannen ihre Ausbildung an den Maschinen. Da waren Drehbänke, Fräsmaschinen, Hobel - ( Shaping ) und Schleifbänke. Die Lehre wurde wie folgt unterteilt:
Eine Woche arbeiten anschließend eine Woche Berufsschule. Die theoretische Ausbildung fand in Pirna statt. Pirna war Kreisstadt und schloss sich fließend an Heidenau an, wie das oftmals in Flusstälern ist. Nach einem halben Jahr sollten beide Gruppen ihre praktischen Ausbildungsplätze tauschen. So verkündete es der Obermotz Eckhold. Ein wichtiger Teil der Lehre erklärte er weiter, sei die vormilitärische Ausbildung. Sie gliedert sich in den praktische Teil, dies bedeutet dass Erlernen des Umganges mit Waffen, das Erlernen des Exerzierens mit Abschlussmarsch und jede Menge Sport. Der theoretische Teil umfasst die Ausbildung zum Militärkraftfahrer. Bei dieser Ankündigung kam bei uns Freude auf. Fahrschule für Lkw, das war schon was besonderes, Fahrschule ab 17 Jahre, keine Wartezeiten wie sonst so üblich in der DDR ca. 4 Jahre und vor allem fast kostenlos. So eine Fahrschulausbildung auf dem LKW kam um die 2000 Mark. Über die vormilitärische Ausbildung kostete sie 70 Mark. Ein gewaltiger Unterschied und was noch ganz wichtig war, die Wahrscheinlichkeit während der Armeezeit bei den Fußlatschern ( Motschützen ) zu landen, war sehr gering. Vorraussetzung für die Fahrschule, babberte Eckhold weiter, ist die Mitgliedschaft in der Gesellschaft für Sport und Technik kurz GST genannt. Außerdem sei die vormilitärische Ausbildung Bestandteil des Lehrvertrages. Wer sich dem verweigere erhält keinen Facharbeiterabschluss. Aus diesem Grund habe er schon mal für die Nichtmitglieder der GST das Anmeldeformular ausfüllen lassen. Diejenigen die es betrifft brauchen bloß ihre Unterschrift drunter zu setzen. Aber wir Jungs waren ja ganz heiß auf diese Ausbildung. Ich beeilte mich zu unterschreiben.
Anschließend stellte Eckhold uns noch ein leuchtendes Beispiel der sozialistischen Gesellschaft vor, einen Lehrling des dritten Lehrjahres. Er hatte sich freiwillig für 10 Jahre zur Armee verpflichtet, als Berufsunteroffizier. Mit einfachen Worten erklärte er uns wie wichtig es ihm sei mit der Waffe in der Hand unsere sozialistische Heimat zu schützen und zu verteidigen. Das er seinem Vater nach eifere der ebenfalls bei der Armee als Berufsunteroffizier dient. Ich dachte bei mir, der kann nichts dafür, da liegt die Blödheit in der Familie. Sagen durfte man natürlich nichts, aber einige von uns verdrehten die Augen. Nach den ganzen Ausführungen begann der Betriebsrundgang durch das Heidenauer Werk. Das ließ sich Eckhold nicht nehmen, den machte er persönlich. Da waren der Werkzeugbau, die Gravur, Dreherei, Fräserei, Werkzeugreparatur und die Härterei. In der Härterei schlug uns eine Hitze entgegen, dass es einem den Schweiß aus den Poren trieb. Ich staunte wie man unter solchen Bedingungen arbeiten konnte. Das Besondere in dem Heidenauer Werk war die alte Gießerei, sie war ausgebrannt. Die Produktion war in das Dohnaer Werk verlagert worden. In den Ruinen der alten Gießerei, versteckten sich die Lehrlinge wenn sie heimlich während der Arbeitszeit rauchen wollten. Dies war ihnen nämlich verboten. Auf dem Weg zur Dreherei mussten wir an der alten Gießerei vorbei. Eckhold erwischte zwei Lehrlinge aus dem 2. Lehrjahr beim Rauchen. Er scheuchte sie hoch und jagte sie in die Lehrbaracke. In diesem Moment kam der zuständige Lehrmeister um die Ecke, er hatte das Verschwinden der Lehrlinge ebenfalls bemerkt. Eckhold machte ihn vor uns rund wie einen Buslenker, er schrie ihn an und brüllte wie ein Verrückter. Ich dachte nur, das kann ja was werden mit dem die nächsten Jahre.
Eine weitere Besonderheit im Betrieb die wir besichtigten, war ein Schießstand für klein - kalibrische Waffen. Hier sollten wir nicht nur erste Erfahrungen mit den Waffen sammeln, hier hielten auch die Kampfgruppen ihre Übungen ab. Die Kampfgruppe, war eine eigenständige militärische Formation neben der NVA, so eine Art Heimatarmee. Ihre Aufgabe war es im Ernstfall besondere Betriebe,
verkehrswichtige Knotenpunkte, etc. zu schützen. In die Kampfgruppe wurde nur aufgenommen wer seinen militärischen Grundwehrdienst, mindestens 18 Monate, bei der NVA geleistet hatte. Aber die militärische Stärke blieb begrenzt. Als Führungskräfte kamen in erster Linie Reserveoffiziere der NVA zum Einsatz. Die Bewaffnung der Truppe war eher eine Leichte. Bestenfalls verfügten sie über Motschützenfahrzeuge älteren Baujahrs. Mein Vater sagte immer, das sind Hobbysoldaten die nicht viel taugen mit Offizieren die sich selber beweihräuchern und Untergebene schikanieren. In Zeiten wo man mit der Atombombe ganze Länder von der Erde tilgen kann, sind schlecht ausgerüstete Truppen bestenfalls Kanonenfutter.
Anschließend ging es in die Kantine. Mittagspause war von 12.00 bis 12.30 Uhr. Als Lehrlinge hatten wir die Zeit exakt einzuhalten. Gleiches galt für die Frühstückspause von 8.45 bis 9.00 Uhr. Chefin in der Kantine war Gerdi, so durften wir sie freilich nicht nennen, wir mussten sie schon mit dem Familiennamen  Krause anreden. Nach der Mittagspause fuhren wir mit dem Linienbus nach Dohna in den Betriebsteil 2. Hier warteten schon die Gießereilehrlinge auf einen gemeinsamen Rundgang durch die Alugießerei. Der Umgangston der Gießereilehrlinge untereinander war bemerkenswert. Sie redeten sich prinzipiell mit dem Familiennamen an und jedes zweite Wort war „ du Arsch….. 90 Prozent der Gießereilehrlinge hatten nur den Abschluss der 8. Klasse geschafft und das merkte man an ihrem Umgangston. Zwei der Burschen fielen mir besonders auf. Den einen riefen sie Brückner und den anderen Roter. Brückner hatte eine unheimlich große Fresse und klopfte andauernd dumme Sprüche. Der Rote hieß mit Vornamen Carsten. Sein feuerrotes Haar ließ ihn überall auffallen und es brachte ihm auch seinen Spitznamen ein. Ich traf ihn Früh ab und an im Zug. Er stieg in Dresden - Reick zu und hatte eigentlich einen Ausbildungsvertrag mit dem Sächsischen Brücken – und Stahlbau. Da dieser Betrieb nur eine ganz kleine Gießerei hatte, war es für sie rentabler ihn in einem geeigneten Zweitbetrieb ausbilden zu lassen. Trotz der wenigen Kontakte zu den Gießereilehrlingen merkten wir bald, dass Brückner sich zum Chef unter seines Gleichen aufgeschwungen hatte, aber den Roten konnte er nie packen. Er stand immer über den Dingen. Der Rundgang selbst war hoch interessant. Ich war schwer beeindruckt von den Gießmaschinen, Halbautomaten und Vollautomaten. Vor jeder dieser Maschinen stand ein
Warmhaltebehälter mit flüssigem Aluminium. So wie bei heißer Milch, bildete sich an der Oberfläche eine feine, dünne Haut.  Auf dem Anschlussgleis standen 4 oder 5 Wagons mit Alubarren, das entsprach etwa der täglich zu verarbeiteten Menge. Sie kamen aus Ungarn, denn die DDR war ein Land mit wenigen Rohstoffen. Bauxit der Grundstoff für Aluminium, den gab es überhaupt nicht. Ungarn hatte reichlich davon und was noch wichtiger war, es zählte zum Ostblock. Die DDR brauchte keine Devisen dafür ausgeben. Merkwürdig fand ich, dass die Wagons mit einem Gabelstapler im Betriebsgelände bewegt wurden. So langsam aber sicher ging der erste Arbeitstag zu Ende. Zu Hause erzählte ich meinem Vater von den Güterwagen und wie sie transportiert wurden. Mein alter Herr arbeitete bei der Reichsbahndirektion Dresden ( Rbd ) und seinem Arbeitsbereich unterstanden alle Anschlussbahnen der Rbd. Er meinte nur, dass der Druckguss in Dohna bis 1975 eine Ausnahmegenehmigung für die Betreibung des Anschlussgleises hatte, mit der Auflage ihr Anschlussgleis bis Ende 75 in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzten. Da dies nicht erfolgt ist, hatte er den Betriebsdirektor mit einer persönlichen Strafe von 500 Mark belegt, mit der Androhung, Ende 76 das Gleis zu sperren, wenn sie nicht den Vorschriften entsprechen. Ich dachte, Prostmahlzeit, hoffentlich erfährt der Direktor nie, wer du bist. Dann ging es bei Zeiten in die Heia. Am nächsten Morgen musste ich den Zug halb fünf nehmen, da die Arbeit schon halb sechs begann. Der Ernst des Lebens begann.


Eine kleine Stille Ahnung
Wohnt seit einer Zeit bei mir
Legt sich dunkel auf den weißen
Bettenberg aus Traumgeschwür.*
*Lied der Gruppe Lift

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen