Dienstag, 15. Februar 2011

Andreas Linke

 Es gab Menschen in meinem Leben mit denen teilte ich einen Lebensabschnitt und die sich dann pö ab pö aus dem eigenen Leben verabschiedeten, obwohl sie einem lange Zeit wichtig waren. So ein Mensch war Andreas Linke. Seine Spuren verloren sich wie Sand im Wind. Andreas und ich gingen gemeinsam in die Schule. Er war Schüler der Parallelklasse. Ein Jahr nach mir entdeckte er seine Liebe zum Radsport. Gemeinsam legten wir etliche tausend  Kilometer auf dem Rad zurück. Es war die Basis für eine lange währende Freundschaft. Gemeinsam träumten wir von den Mädels und der ersten großen Liebe.  Andreas zählte zu Genies in der Schule, er hatte fast nur Einsen auf dem Zeugnis. Aber ein Musterschüler war er nicht, dazu war er viel zu unbequem, starrköpfig und ein Querdenker. Radsport war für ihn ein Ausgleich zu seinem ungestümen Wesen auf der Einen und dem Feingeist auf der anderen Seite. Andreas war hoch musikalisch veranlagt. Schon vor Beendigung der 10. Klasse hatte er die höchste Amateurstufe im Klavierspielen erreicht. Nach Schulschluss saß er fast täglich mehrere Stunden mit einer bewundernswerten Ausdauer am Klavier. Diese Ausdauer entsprach seinem Charakter, Andreas hatte eine Kämpfernatur. Manchmal hatte ich Angst vor diesem Kämpfergeist, er hatte was selbstzerstöreriches an sich. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte zog er es durch, da konnte kommen was wollte, auch wenn er wusste dass es anders besser wäre. Aber gerade das machte ihn stark und zeichnete ihn aus. Nach Beendigung der 8. Klasse verließ er unsere Schule und ging auf die Penne mit dem wohlklingenden Namen Romain  Rolland.
In meiner Freizeit schlug ich viel bei Andreas auf. Er wohnte unweit der Lukaskirche. Er war einer von den Schülern, die wir als die „ Anderen“ bezeichneten. Als die „ Anderen“ bezeichneten wir Schüler unserer Schule die auf der anderen Seite der Juri - Gagarin - Straße wohnten. Auf Grund des langen Schulweges kamen sie oft, wenn es das Wetter zuließ, mit dem Fahrrad in die Schule. Wenn ich bei Andreas war spielte er mir viel auf dem Klavier vor. Ich staunte über mich selbst, dass ich mir das anhörte. Denn ich war absolut kein Freund der klassischen Musik. Aber Andreas spielte nicht nur Klassik, er war ein Freund des Hartrockes und spielte viel Deep Purple auf dem Klavier. Sein polnisches Hifi Tonbandgerät war voll mit Musik von dieser Band. Als alter Glam – Rockfan fand ich die Musik anfänglich gewöhnungsbedürftig.
Selbst auf der Penne gehörte Andreas, was das Fachliche betraf, zur Elite seiner Schule, er brachte es auf einen Zensurendurchschnitt von 1,1 und wie ich feststellte lernte er dafür nicht viel mehr wie ich. Politisch geriet er mehrmals mit der Schulleitung in Konflikt. Die Krönung erlebte er diesbezüglich in der 12. Klasse. Erfolg macht neidisch, das bekam Andreas zu spüren. Mehrere Jungs aus seiner Klasse hatten es fachlich nicht drauf das Abitur abzuschließen. Solchen Schülern bot der sozialistische Staat die einmalige Chance das Abitur auf eine andere Art zu erwerben. Sie konnten sich für 25 Jahre als Offizier zur NVA verpflichten. In einer Schulpause äußerte Andreas vor diesen Schülern seine Meinung zum Thema Republikflucht. Er sagte einfach, es gibt ja leider keine Möglichkeit die DDR offiziell zu verlassen, dadurch werden solche Dinge provoziert. Einer von denen hatte nichts Besseres zu tun als Andreas bei der Schulleitung anzuzeigen. Dabei hatte Andreas noch Glück, der Direktor stellte die Äußerungen als einmalige Entgleisung hin. Andreas musste sich öffentlich vor dem Fahnenappell entschuldigen und sich von seiner Äußerung distanzieren. Für ihn war es eine gewaltige Demütigung. Ich fand solche Dinge einfach nur beschämend.
Was den Radsport anging fuhren wir in etwa auf einem Level. Unser Radsportverein war die BSG Verkehrsbetriebe Dresden. Bei Wettkämpfen  fuhr in der gemeinsamen Altersklasse aus unserer BSG noch Dietmar Vielhauer mit. Er wohnte gleich bei Andreas um die Ecke und war ein Jahr älter wie wir. In der DDR Rangliste teilten wir uns die Plätze 7 bis 12 mit den Fahrern von Lok Dresden. Die besten Fahrer kamen aus Zwickau. Nur selten gelang es uns in die Falange dieser Fahrer einzudringen. Für uns war es Freizeitsport für die Zwickauer Leitungssport.
Nach Abschluss seines Abiturs hatte Andreas großes Glück. Er kam gleich zur Armee. Ich musste noch ein halbes Jahr lernen und anschließend ein halbes Jahr arbeiten, ehe ich einberufen wurde. Während seiner Armeezeit kam Andreas mich fast immer besuchen, wenn er auf Urlaub war. Er diente in Berlin bei irgendeiner Grenzeinheit. Nach der Grundausbildung hatte er das Glück des Tüchtigen, er wurde in ein Offizierscasino abkommandiert. Hier führte er ein relativ geruhsames Leben und verdiente sich nebenbei noch eine ganze Menge Kohle, durch Trinkgeld und Schnapspanschen.
Unsere Wege verloren sich als ich zur Armee kam.

Wir sind Soldaten der Arbeitermacht
Und wir stehen an den Grenzen des Landes
Wir von den Feldern und wir aus dem Schacht
Stehen als Grenzer auf der Wacht*
*Lied der Grenzsoldaten

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