Dienstag, 15. Februar 2011

Verteidigung der Hausarbeit

Die Zeit der Verteidigung der Hausarbeit nahte. Mehr oder weniger aufgeregt standen wir im Gang der Lehrbaracke und warteten bis wir dran waren. Vor mir musste Uwe Becker ran. Er hatte ja den gleichen Mentor wie ich, Herrn Gedlich. Nach einer halben Stunde kam Uwe ganz bleich aus dem Prüfungszimmer. Er war durchgefallen. Gedlich hatte ihm Betrug nachgewiesen. Uwe hatte sich die Zeichnung für seine Hausarbeit von den Konstrukteuren geholt und sie einfach abgezeichnet. Gedlich brauchte nur zu den Konstrukteuren gehen und die Zeichnungen vergleichen. Da hatte Uwe schlechte Argumente gehabt. Mir wurde vor der Prüfung ganz mulmig, wenn du einen Mentor hast der versucht dir irgendwelche unlauteren Dinge nachzuweisen, das war schon komisch. Mit gemischten Gefühlen betrat ich das Prüfungszimmer. In der Prüfungskommission saßen Eckhold, Kürz, Leinert und Gedlich.
Schnell merkte ich, Eckhold versuchte einen so gut es ging durch die Verteidigung zu bringen. Er war daran interessiert dass seine Lehrlinge bestmöglich abschnitten. Sicherlich hing auch eine Prämie daran. Schnell und flüssig konnte ich die gestellten Fragen beantworten. Bloß gut das ich mich intensiv mit der Hausarbeit auseinander gesetzt hatte. Gedlich hakte des Öfteren nach, immer wieder unterbrach er meine Ausführungen. Bei der Erklärung der Zeichnung geriet ich kurz ins stocken. Mir war der Begriff Auswerfer entfallen. Jede Gießform verfügte, je nach Größe des Gussstückes, über eine unterschiedliche Anzahl davon. Nach dem Gießprozess  musste das Teil aus der Gießform gedrückt werden. Das übernahmen die Auswerfer. Gedlich spürte meine kleine Unsicherheit. Ich versuchte den Begriff zu umschreiben. Sofort bohrte er nach. Eckhold meinte zu mir, sicherlich meinen sie die Auswerfer. Gedlich guckte böse zu Eckhold rüber. Diesen beeindruckte das überhaupt nicht. Gedlich giftete weiter, Müller geben sie zu, sie haben die Zeichnung kopiert. Ich sagte zu ihm, Herr Gedlich sie waren mit Bestimmtheit im Formenlager und bei den Konstrukteuren. Sie wissen ganz genau, dass über diese Gießform nichts mehr existiert. Warum unterstellen sie mir solche Dinge??? Eckhold bekam das große Grinsen, er strahlte wie ein Vollmond, Gedlich sagte nichts mehr. Kurz darauf wurde ich rausgeschickt die Verteidigung war zu Ende. Nach 10 Minuten wurde ich wieder ins Zimmer gerufen. Eckhold verkündete meine Zensuren. Bei der Vorzensur hatten alle Lehrmeister für eine 1 plädiert, Gedlich für eine 2. Die gleichen Zensuren bekam ich für die mündliche Verteidigung. Es war schon merkwürdig, ausgerechnet der eigene Mentor unterstützte einen nicht. Aber ich war glücklich die letzte Hürde zum Facharbeiter bestanden zu haben. Gut gelaunt ging ich mich umziehen. Im Anschuss trabte ich an meine Rumänenschüssel. Sie war vor 4 Wochen überholt worden. Als Arbeit hatte ich Bolzen mit Gewinde zu drehen. Jedoch bevor ich mit meiner Arbeit beginnen konnte, fing mich Barth ab und wollte wissen was ich für eine Zensur hatte. Als ich es ihm sagte, drückte er mir einen Beutel hin die Hand. Gerne machte ich so etwas nicht. Aber ich musste an Paul denken, meinen ehemaligen Klassenkammeraden. Der hatte sich geweigert Bier zu holen, da hatten ihn die Facharbeiter kurzerhand samt Wattejacke an eine Holzwand genagelt und ihn zwei Stunden dort hängen lassen, bis er " freiwillig" gegangen ist. Barth traute ich so etwas nicht zu, aber als Weichei wollte ich auch nicht gelten. Also schlich ich mich aus der Firma über ein Loch im Zaun und  schon stand ich auf dem Bahnsteig. Von hier waren es 5 Minuten in den nächsten Konsum. Ich holte 10 Flaschen Bier und eine Flasche Courrasau.  Auf demselben Weg ging es zurück in die Firma. Im nu war ich umringt von den üblichen Kandidaten. Jeder fasste ein Bier aus, für mich blieb ein kleiner Schluck in der Schnapsflasche übrig. Schnell war er vernichtet und los ging es an der Drehbank. In meinem Übermut baute ich wie jedes Jahr einmal Mist. Doch diesmal war es richtiger Mist, den ich verbockte, begünstigt durch Umstände die nicht in meinem ermessen Lagen. Aber die Hauptschuld hatte eindeutig ich. Ich Schnitt mit dem Stahl Gewinde und kurbelte den kleinen Support der Drehbank pro Durchlauf  Stück für Stück nach hinten. Der Hauptsupport  war schon am Maschinengehäuse angelangt aber das Gewinde war noch nicht fertig geschnitten. Es gab einen mörderischen Plautz und das Getriebe kam in seinen Einzelteilen angeflogen. Die halbe Firma kam angelaufen und gaffte was da nun passiert war. Mir wurde vor Aufregung schlecht. Barth lästerte wie ein Blöder. Auf einmal kam Werner von der Maschinenreparatur angerannt. Auch er hatte bei mir Bier und Schnaps ausgefasst. Er sagte zu mir: Pass auf Nicki einer von den Graveuren hat dich beim grünen Ungeheuer verpfiffen, das du Alkohol getrunken hast. Streite es gar nicht erst ab. Das mit der Maschine nehmen wir auf unsere Kappe. Eigentlich war sie noch gar nicht fertig gewesen. Wir haben noch keinen neuen Endschalter bekommen und da der Scherstift an der Leitspindel immer raus gefallen war haben wir einen Zweiten verbohrt. Deswegen hat es dir das Getriebe zerhauen. Jetzt war mir nicht nur schlecht, ich bekam auch noch weiche Kniee als das grüne Ungeheuer um die Ecke kam. Er nahm mich mit in sein Büro. Ich leugnete nicht. Nur als er fragte wer mit getrunken hatte, sagte ich niemand. Die Flasche Bier hätte ich mir auf meine Hausarbeit genehmigt. Jetzt viel mir ein, das ich mich ja in einer anderen Firma beworben hatte. Mit einem Verweis konnte ich das Vergessen. Ich bettelte das grüne Ungeheuer, das ich keinen Verweis bekam. Es wäre eine einmalige Entgleisung gewesen. Er meinte, wenn es wirklich eine einmalige Entgleisung war, würde er davon absehen. Dann schickte er mich zu Eckhold in die Lehrbaracke. Er meinte zu mir, Mensch  Müller so blöd kann man doch gar nicht sein. Jetzt muss ich dir einen Verweis geben. Ich sagte, Obermeister  Metzger hat mir versprochen dass ich keinen bekomme. Eckhold schaute mich erstaunt an und sagte das liegt nicht im Entscheidungsbereich von Herrn Metzger. Er überlegte eine Weile, dann sagte er zu mir, er wird sich mit ihm noch einmal absprechen bezüglich des Verweises. Für dich ist heute der Arbeitstag beendet. Am Tag deiner Freisprechung holst du die ausgefallene Arbeitszeit nach. Von Regressforderungen werden wir aber absehen. Ich wurde blass, daran hatte ich ja noch gar nicht gedacht, dass sie mich, wenn ich Pech hatte, auch da noch am Hintern packen konnten. Klar, jetzt hatte ich auch noch den Spott der Kollegen an  der Backe, für die werde ich wohl immer der sein, der seine Maschine zerlegt hatte. Tief in mir schämte ich mich gewaltig. Der Scham brannte sich in meine Seele ein. Dabei musste ich noch froh sein das es einige Leute mit mir gut meinten. Man konnte über Eckhold sagen was man wollte, persönlich ist er mir nie dumm gekommen. Im stillen musste ich bei ihm Abbitte leisten.
Bis zur Freisprechung waren es noch ein paar Tage. Kille und Uwe mussten zur zweiten Musterung. Bei ihnen sollte es ernst werden mit der Armee, aber es kam anders. Da Uwe seine Facharbeiterprüfung nicht bestanden hatte, musste er wenigstens ein viertel Jahr länger lernen. Somit konnte er seine Armeezeit nicht antreten. Ja und Kille, das haute mich fast vom Stuhl, hatte die Waffe verweigert. Aufgeregt frage ich ihn, warum er denn die Waffe verweigert hat? Aus religiösen Gründen, antwortete er. Mir war nie aufgefallen dass Kille in die Kirche ging.
Was haben die von der Armee denn zu dir gesagt, wollte ich wissen?
Wir sehen uns mit 26 wieder.
Das war typisch für diese Leute, wer nicht nach ihrer Pfeife tanzte wurde gegängelt. Um ehrlich zu sein Kille hätte ich niemals zugetraut die Waffe zu verweigern, da musste man schon einen starken Charakter haben, wenn man sich gegen den Strom stellt. Akzeptieren konnte ich seine Meinung aber im Ernstfall, davon war ich fest überzeugt, wenn ihm die ersten Mumpeln um die Ohren pfiffen, würde er ganz schnell zur Kalaschnikow greifen. Wer lässt sich schon gerne erschießen?
Am Tag der Freisprechung kamen meine Thüringer aus Lobenstein. Ich musste ihnen nichts von meinem Malheur erzählen, sie wussten es schon lange. So etwas ging rum wie Lauffeuer. Eckhold hatte es ihnen gesteckt, als sie wegen den Feierlichkeiten anriefen. Thomas hatte das Auto von seinem Vater bekommen, einen Polski – Fiat. Damit holten sie mich von Arbeit ab. Ich musste ja die 4 Fehlstunden noch nacharbeiten. Wir fuhren erst einmal zu mir nach Hause. Im Anschluss ging es nach Pirna Sonnenstein. In der Schlossschenke war der feierliche Akt. Beim anschließenden gemütlichen Beisammensein, bekam Leinert das große Jammern. Wir unterhielten uns über die Lehrausbildung. Ich sagte zu ihm, die meisten Facharbeiter sagen, die Qualität der Ausbildung würde immer schlechter werden obwohl die Lehrausbilder gute Facharbeiter wären. Das Bier hatte Leinert die Zunge gelockert, er schimpfte auf Eckhold wie ein Rohrspatz. Wie gesagt, mir persönlich hatte er nie etwas ans Kreuz geflickt, aber ich hatte oft genug gesehen, wie er mit den ihn unterstellten Lehrmeistern umsprang.
Mit dem 15.02. 1979 war die Lehre beendet. Jetzt war man Facharbeiter. Ich durfte nun mich mit der neuen Bezeichnung für Werkzeugmacher schmücken, Facharbeiter für Fertigungsmittel. Am nächsten Tag galt es Abschied nehmen von den Thüringern.
Ob ich sie jemals wieder sehen werde??
Übrigens der Verweis wurde mir nicht ausgesprochen, aber ob man ihn still, leise und heimlich ihn in meine Kaderakte vermerkt hatte, da war ich mir nicht so sicher.


                                               Wie kann man etwas leiten
                                               Wo von man nichts versteht
                                               Mit Pferden wie mit Leuten
                                               Das absolut und überhaupt nicht geht.*
*Reiterlied Reinhard Lakomy

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