Montag, 21. Februar 2011

Facharbeiter

Nun war ich Facharbeiter und das „große Geldverdienen“ konnte beginnen. Jeder  Jungfacharbeiter wurde mit der Lohngruppe 3 eingestuft, egal was er drauf hatte. Nach der Armeezeit sollte es eine Lohnstufe höher gehen. Ich fand das äußert merkwürdig und demotivierend wie damit umgegangen wurde. Hege meinte das reicht für euch auch aus, ihr habt doch sowieso nichts auf der Kirsche. Es hatte keinen Sinn sich mit Hege wegen dieser Bemerkung anzulegen. Den würde man sowieso nicht mehr ändern können. Außerdem stand er mit dieser Meinung nicht alleine. Es war schon immer eine alte Weisheit, in dem Betrieb wo du lernst wirst du immer der Letzte sein, bis die neuen Lehrlinge kamen. Das galt erst recht für einen, der seine Maschine zerlegt hatte.  Der erste Lohn viel auch recht dürftig aus, da ja für die Hälfte des Monates noch Lehrlingsgeld gezahlt wurde. Ganze bescheidene 350 Mark befanden sich in der Lohntüte. Trotzdem wollte das mir nicht in den Kopf, dafür hatte ich nun 2 ½ Jahre gelernt. Jeder bescheidene Spitzendreher verdiente da viel, viel mehr. Ich unterhielt mich mit Hagen darüber. Der hatte die Schnauze genauso voll wie ich. Er sagte zu mir, dass er im Betrieb seines Vaters als Spitzendreher anfangen wollte gleich übernächsten Monat. Da würde er mit 1200 Mark nach Hause gehen. Ich meinte die Arbeit würde mich nicht befriedigen. Hagen winkte ab, aber das Geld stimmt. Da hatte er zweifelsohne recht.  In dem Staat hing so manches schief, eben auch das Lohngefüge. Mein alter Herr verdiente als Ingenieur  nur knapp 1000 Mark und dafür hatte er nun studiert. Auch das war ein Grund für mich nicht zu studieren. Im Westen hätte er wenigstens das Doppelte verdient, da wurde Bildung noch honoriert. Es wurde höchste Zeit das ich noch einmal nach stieß wegen meiner Bewerbung im KBW. Von dort bekam ich aber eine Absage. Der Kollege der Aufhören wollte hatte seine Kündigung zurück gezogen. Ich war restlos bedient. Vater meinte, bleib doch erst einmal in der Firma bis du bei der Armee warst. Wahrscheinlich war es auch das Vernünftigste. Also blieb ich erst einmal in der Dreherei im Zweischichtsystem.
Mit Conny traf ich mich aller 14 Tage. Wir verbrachten nun mehr Zeit miteinander aber das Rumziehen mit Roland frönte ich immer noch eifrig. Es sollte ja niemand zu kurz kommen. Roland hatte eine neue Disco aufgerissen wo wir nun öfters aufschlugen, die Spirale. Die Spirale war eine Studentendisco. Eigentlich kam man hier nur mit einem Studentenausweis rein. Es sei denn man kannte jemanden und Roland kannte den gastronomischen Chef. Der fuhr zwei Autos, einen Lada und einen Wolga. Das hängte er aber nie an die große Glocke, denn es sah schon komisch aus wenn ein Student Autos im Wert von mehreren 10000 Mark fuhr. Diese Autos mussten natürlich unterhalten werden und da Roland goldene Finger hatte übernahm er das. Ein Vorteil in der Spirale waren die Preise. Da Studenten gewöhnlich nicht über das große Geld verfügten, waren sie hier relativ moderat. Die Tanzveranstaltungen fanden immer Freitags und Samstags statt. Einmal im Monat war so eine Art Prominentenabend, da wurde immer ein extra Kulturprogramm geboten. Das war in der Regel immer eine feine Sache, aber es gab auch die Ausnahme. Eines Tages hatte man eine Chansonnette eingeladen. Das entsprach nun nicht unbedingt dem Geschmack der meisten Studenten. In die Vorstellung kam einfach keine Ruhe hinein. Erbost meinte sie, wenn es nicht ein bisschen leiser wird, bricht sie ihre Darbietung ab. Einige Studenten lachten. Roland, Becki und ich standen an der Bar und tranken noch unsere  Wodka – Kola die wir uns noch vor Beginn der Veranstaltung bestellt hatten. Während der Veranstaltung war die Bar geschlossen. Die genervte Chansonette wollte gerade ihr Programm vorsetzen als Becki ausrutschte. Bevor er auf den Fußboden aufschlug erwischte er einen Stapel Plastebecher, der auf dem Tresen stand. Laut polternd flogen die Becher  in die Massen. Daraufhin  verließ die Gute völlig entnervt und unter dem Hohngelächter der Studenten die Bühne. Becki war die Sache sichtbar peinlich. Er wollte die Angelegenheit wieder in Ordnung bringen aber die Chansonette ließ nicht mehr mit sich reden. Erst der gastronomischen Leiter, der mit Spitznahmen Mamas hieß, konnte sie einigermaßen beruhigen.
Einige Wochen später rückten Roland und ich Freitags in die Spirale ein. Wir ließen es uns gut gehen bei Bier und Wodka-Kola. Das Gesprächsthema war mal wieder die D Mark, Roland brauchte welche. Wir saßen für uns alleine an einem vierer Tisch und beachteten gar nicht weiter unsere Umgebung. Ich bekam nur flüchtig mit am Nachbartisch saßen 6 Personen und das auch nur weil ich die junge Frau vom sehen her kannte. Sie wohnte im Nachbarhof, war 4 oder 5 Jahre älter wie ich. Ihre Schwester ging bei mir in die Parallelklasse. Beide waren recht hübsche Mädchen. Roland fragte ob ich DM bei mir hätte, ich nickte. Ob ich ihm welche sofort tauschen könnte, wollte er wissen? Dumm wie ich war, bejahte ich auch noch. Also zogen wir unser kleines Geschäft durch ohne zu merken das wir vom Nachbartisch beobachtet wurden. Auf einmal standen die 5 Kerle vom Nachbartisch vor uns und forderten uns auf das Geld rauszurücken. Es war eine schlichte Erpressung. Ich sagte, verschwindet. Einer von den Kerlen meinte, komm mit raus das klären wir draußen. Sofort stürzten zwei sich auf mich. Roland ging dazwischen aber es sah nicht gut für uns aus. Da mischte sich die junge Frau mit ein und sagte zu den Kerlen, lasst die beiden in Ruhe und stellte sich zwischen uns. Roland sagte verschwindet oder ich rufe die Polizei. Der Anführer der Truppe wollte sich wieder auf Roland stürzen, die Frau ließ es nicht zu. So kamen wir mit ein paar blauen Flecken glimpflich davon. An diesem Abend gossen wir uns noch gewaltig einen hinter die Binde. Zum Schluss waren wir ordentlich abgefüllt. Roland wollte ein Taxi anhalten, er versuchte immer wieder direkt vor die Autos zu springen. Mit Müh und Not konnte ich ihn davon abhalten. Da kam er auf die Idee gleich an Ort und Stelle zu schlafen und legte sich auf die Straße. Ihn da wieder hoch zu bekommen war ein Akt für sich. Ich bog ihm unter heftigster Gegenwehr seinen rechten Arm auf den Rücken bis er vor Schmerz ganz allein aufstand. So schob ich ihn vor mir her. Laut singend und krakeelend bogen wir von der Schnorrstraße kommend auf die Winckelmannstraße ein. Vor Rolands Haustüre angelangt stürzte seine Mutter schimpfend im Nachthemd aus dem Haus. Sie hätte uns schon beim einbiegen auf die Winckelmannstraße gehört, packte Roland am Schlawitchen und zerrte ihn in die Wohnung. Verdutzt hielt ich mich am Autospiegel von Rolands Bruder seinem Auto fest und so sah dann auch der Spiegel am nächsten Morgen aus.
Ein besonderes Highlight im Partyleben waren die Studentenbälle. Da ging die Post so richtig  ab. Dresden hatte mehrere Hochschulen, unter anderem die Hochschule für Verkehrswesen  ( HfV )und die Technische Universität ( TU ). Beide Universitäten führten in ihrer Mensa solche Bälle durch. Da gab es die Frühjahrsbälle, Herbstbälle, Faschingsbälle und vieles mehr. Veranstalter bei der TU waren die Gleichen die für die Spirale zuständig waren. Mit anderen Worten unser Eintritt war gesichert. Die offiziellen Karten waren immer schon weit im Vorfeld vergriffen. Überrascht war ich allerdings wie die ganze Sache mit den Schwarzkarten ablief. Da musste man sich auch nicht wundern wenn es Mamas  sich leisten konnte solche Autos zu fahren. Wir wurden über Hintereingänge oder Fenster in die Mensa gelotst. Eine Karte bekamen wir nicht in die Hand aber bezahlen mussten wir trotzdem. Der offizielle Eintritt kam 7 Mark, es wurde erwartet dass man 10 Mark gab. Pro Schub der illegal in die Mensa geholt wurde kamen 10 – 20 Personen hinein und es gab an den Abend locker zwei dutzend solche Schübe. Dazu kam, ein Ball ging über mehrere Abende. Da blieben locker mehrer Tausend Mark hängen und das Meiste wanderte bei Mamas in die Tasche. Der  würde es noch einmal weit bringen oder am Galgen laden.
Ab und an kamen auch die Jungs die bei der Armee waren auf Urlaub. Die an der Grenze dienten sah man am seltensten. Am meisten auf Urlaub kam Wowi, logisch als „ 3 – jähriger“ stand ihm auch der meiste Urlaub zu. Hin und wieder kam es schon mal vor, dass er einem über den Weg lief. Als Nachbar ließ sich das schlecht vermeiden. Er füllte einem laufend die Taschen, was er für ein toller Hecht wäre. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen. Stolz erklärte er mir seine Schulterstücken und das er bestimmt als Feldwebel entlassen werden würde, das wäre kein Problem. Eines Tages kam er wieder mal auf Urlaub und lief mir direkt über den Weg. Er hatte neue Schulterstücken, die ich bis dato bei ihm noch nie gesehen hatte. Ich kannte mich damit auch nicht aus. Neugierig fragte ich ihn ob dass die Neuen vom Feldwebel wären. Kleinlaut meinte er, er wäre zum Gefreiten degradiert worden. Wowi war schon ein Unikum aber in einer Richtung enttäusche er nie, nämlich wenn es ums versagen ging, da war er der ungekrönte König. Wenn ich Wowi sah, musste ich immer an Mike Krügers Lied denken, ich bin Bundeswehrsoldat toller Typ und ich hab mein Vaterland so furchtbar lieb. Irgendwie fand ich es beruhigend, dass es auf der gegnerischen Seite genau solche Plinsenbäcker, wie Wowi gab.
Inzwischen rückte der Mai  näher. Das bedeutete es wurden wieder Soldaten zur NVA gezogen. Ich hatte ja nun ausgelernt und hätte theoretisch auch gezogen werden können. Aber da hätte ich im Vorfeld zur zweiten Musterung gemusst. Wenn die Roten gemein waren, ließen sie einen bis 26 zappeln. Ab dem 27. Lebensjahr durfte man nur noch für 6 Monate gezogen werden. Das kam schon mal vor das einer vergessen wurde aber dass war wie ein fünfer im Lotto. In der Regel wurden Leute nur dann ab 27 gezogen wenn diese in der Wirtschaft als schwer abkömmlich galten oder die ihr Studium vor der Armeezeit antreten konnten und  es bis dahin noch nicht abgeschlossen hatten.
Aus unserem Haus war Nährius schon im letzten November gezogen wurden. Er hatte sich im Vorfeld für 3 Jahre verpflichtet um im Anschluss bessere Aussichten auf ein Studium zu haben. Wer sich für eine längere Dienstzeit entschied, wurde gewöhnlich gleich nach Beendigung der Lehre gezogen. Außerdem konnten die meisten Freiwilligen entscheiden bei welcher Waffengattung sie dienen wollten. Mit diesen Maßnahmen  wollte Vater Staat noch mehr Jugendliche für die Armee begeistern. Nährius entschied sich für das Wachregiment Felix Dserschinsky. Ob er sich bewusst war, das er sich da in die Fänge der Staatssicherheit begab bezweifelte ich. Schließlich unterstand dieses Wachregiment nicht der Armee sondern war eine Truppe die direkt von der Stasi befehligt wurde. Auch wenn die Uniformen der, der NVA verdammt ähnelten. Die Stasi war schlau genug es nicht in den Fordergrund zu stellen dass das Regiment nicht der Armeeführung unterstand. Den Angehörigen dieser Truppe wurde vorgegaukelt sie wäre eine Eliteeinheit. Aber bei der Bevölkerung hatte diese Einheit einen zweifelhaften Ruf. Aus unserer Klasse bzw. Parallelklassen hatten sich noch mehr Jungs für diese Truppe entschieden. Einer von ihnen war Ulf Reubig. Als sie ihn gezogen hatten wurde ihm klar wo er gelandet war und hatte seinen Wunsch vor Ort revidiert länger dienen zu wollen. Man schickte ihn wieder nach Hause. Ihm war schon klar das er seinen Grundwehrdienst erst Mitte Zwanzig antreten würde. In meinen Augen stieg Ulf gewaltig im Ansehen.
Wer sich freiwillig entschloss länger zu dienen, der wurde mit allerlei Möglichen und Unmöglichen gelockt. Das fing bei der Vergabe von Studienplätzen an und endete natürlich beim Wehrsold. Während  Soldatendienstränge mit 80 – 110 Mark im Monat besoldet wurden gab es für die Unteroffiziersränge Sold ab 600 Mark. Wenn sie einen guten Dienstrang hatten konnte sich das in einzelnen Fällen bis 1000 Mark steigern. Für nicht Wenige war das eine echte Alternative um ihr Einkommen zu verbessern. Für Abiturienten gab es noch eine weitere Möglichkeit. Sie konnten sich für 4 Jahre Armee verpflichten, das nannte sich Offizier auf Zeit. Hier gingen die Verdienstmöglichkeiten bei 1000 Mark los. Das musste halt jeder mit sich selbst ausmachen, wie lange er bei der Armee bleiben wollte.
Wenn man den westlichen Radioquellen glauben konnte war die NVA eine der zahlenmäßig stärksten Armeen in Europa. Für die ständig steigende Zahl der Truppenstärke benötigte man natürlich auch eine steigende Anzahl an Führungskräften. Ein bisschen Stolz war schon dabei, bei einer mächtigsten Armeen dienen zu dürfen, müssen, zu sollen, etc. Aber soweit reichte meine Begeisterung nicht, dort länger dienen zu wollen als notwendig. Die Armee war schon ein riesiger Moloch der Unsummen von Geld verschlang.
Ich hatte da immer so einen Leitspruch für mich, den ich mir ab und zu mal wieder ins Gedächtnis rief: Es ist immer noch besser auf der Mutti zu sterben, als mit einem Loch im Bauch.


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