Dienstag, 22. Februar 2011

Der letzte Urlaub vor der Armee


Der Frühling ging immer mehr in den Sommer über. Ich überlegte mit wem und wo ich Urlaub machen konnte. Die Entscheidung viel schnell und doch völlig unvorhergesehen. Wowi war mal wieder auf Urlaub. Er lud meinen Bruder zum Biertrinken ein, da hatte er jemanden vor dem er sich wieder ins rechte Licht setzten konnte. Außerdem hatte Tobias den Führerschein für  das Motorrad gemacht. Wowi wollte bestimmt wieder irgendwohin gefahren werden. So langsam aber sicher begann mein Bruder zu begreifen was Wowi für ein Taugenichts war. Obwohl Wowi nicht all zu oft zu Hause war ging er meinen Bruder so richtig auf die Ketten. Ich selber fuhr nur ganz selten bei meinem Bruder mit, ich hatte ja auch keinen Sturzhelm. Bei Wowi war das egal, der hatte ja sowieso nichts in der Birne. Während der Lehre bin ich ab und an mal bei Berze auf dem Motorrad mitgefahren, der hatte  immer einen Helm für den Sozius bei. Mit Berze hatte ich so etwas wie eine kleine Meinungsverschiedenheit was das fahrerische Können anging. Er fuhr zwar gut Motorrad aber verwechselte das manchmal mit Gas geben. Um mir zu beweisen dass beides ging, nahm er mich hin und wieder auf dem Motorrad mit und bretterte mit 100 km/h durch die Stadt. Wenn ich ihm dann sagte, das mich sein Fahrstil nicht überzeugte wurde er immer richtig wütend. Berze hatte nun mal eine ungestüme Art. Aber ansonsten war Berze ein Kumpel durch und durch. Im Westen waren die Integralhelme schon lange Standart. Im Osten wusste man, das es so etwas gibt. Viele versuchten sich so einen Schutzhelm zu verschaffen. Klar bei  Tobias hatte Vater das Problem mit Westgeld gelöst. Aus meiner ehemaligen Klasse brauchte Thilo Krebs einen Integralhelm. Berze hatte da die Beziehungen. Er kannte jemand der die Schalen dafür herstellen durfte und er kannte auch einen Polsterer der in der Lage war so einen Helm zu polstern. Also setzten wir uns im Winter bei 10 Grad Minus aufs Motorrad und fuhren die 40 km nach Rosenthal. Dort war der Polster zu Hause. Nach 3 Wochen konnte Thilo sich den Helm dann abholen.
Nach diesem Abend mit Wowi nahm mich mein Bruder beiseite und sagte, bei Wowis war die Staatssicherheit und hat sich über dich erkundigt, du sollst im Herbst zur Armee. Nun hatte ich wenigstens Klarheit für die nächsten zwei Jahre. Laut und voller Spott sagte ich zu Tobias, die werden schon die richtige Auskunft über mich gegeben haben. Ich bedankte mich bei ihm für die Information. Am nächsten Tag traf ich Conny und erzählte ihr von dem gestrigen Abend. Conny wollte mit mir vor der Armee unbedingt Urlaub machen und sich über ihre Firma um einen Urlaubsplatz bemühen. Roland hatte da volles Verständnis, das ich mit Conny Urlaub machen wollte und Tatsache Conny bekam ein Ferienhaus über ihre Firma im Harz für Anfang September. Aber bis dahin war noch ein Stückchen Zeit.
Im Juni musste ich zur zweiten Musterung. Ich hatte mich auf dem Heppkeplatz in Dresden einzufinden. Wieder brauchte ich an dem Tag nicht auf Arbeit, die Armee übernahm die Unkosten. Was dem Staat solche Aktionen kosteten, ich war ja nicht der Einzige der zur Musterung musste. Es war ein heißer Tag an dem ich dorthin sollte. Als ich vor dem Objekt auf dem Heppkeplatz aufschlug, stellte ich fest, es waren gewöhnliche Holzbaracken in denen sich die Armee eingenistet hatte. Von Außen sahen sie ganz Zivil aus, nur das sie nicht jeder betreten konnte. Es wirkte alles sehr provisorisch, in den Baracken stand die Luft. Den Offizieren in ihren Uniformen war bestimmt ordentlich heiß. Nach dem ich zwei Stunden dort sinnlos rumgesessen hatte, wurde ich in ein Büro gerufen. Dort klärte irgend so ein Offizier noch einmal die persönlichen Daten ab Adresse, Fahrerlaubnis, etc. Dann wollte er wissen ob es bei der Dienstzeit bleibt, ich nickte. Er meinte ich könnte damit rechnen als Militärkraftfahrer im Großraum Erfurt dienen zu dürfen. Ich dachte du Arsch, es gab ja keine wirkliche Alternative zu dem zu dürfen. Aber das mit dem Militärkraftfahrer klang natürlich nicht schlecht. Nun wurde es langsam ernst, aufgewuselt verließ ich die Baracke.
Auf Arbeit stand mal wieder eine Betriebsfeier an und zwar von unserer Abteilung, den Formenbau. Ich fragte Conny ob wir dahin gehen sollen, sie meinte ja. Die Feier fand in Pirna statt in der Gaststätte zur schönen Aussicht, auf der Copitzer Seite. Es war das erste Mal das ich daran mit teilnahm. Als Lehrling stand einem so etwas nicht zu. Es wurde eine angenehme Feier, niemand viel aus dem Rahmen, selbst die Kampftrinker nicht. Anschließend fuhren wir nach Heidenau zu Conny. Wir quatschten noch bis zum frühen Morgen. Conny war der Meinung dass es an der Zeit wäre eine eigene Familie zu gründen, mit eigener Wohnung und Kind. Ich meinte das scheitert schon mal am Wohnraum. In Dresden hatte ich mich bereits auf dem Wohnungsamt bemüht und mich um eine Wohnung beworben. Wartezeit für Unverheiratete nicht unter sechs Jahren. Trotzdem hatte ich eine Anmeldung abgegeben. Conny meinte in Heidenau wäre es vielleicht nicht so schwierig. Sie ging zur Wohnungsverwaltung und bekam Tatsache vier Objekte angeboten. Als wir uns das erste Objekt anschauten, zog es mir die Latschen aus. Es stand ja auch auf dem Zettel, Wohnungen für den Um und Ausbau. Aber so hatte ich es mir nicht vorgestellt. Das die Toilette ein halbes Stockwerk tiefer und ein Blumsklo war und die Maden dort Wettrennen veranstalteten, das war noch das Harmloseste. Fließendes Wasser gab es nicht in der Wohnung. Das Wasser musste aus dem Treppenhaus genommen werden. Dort befand sich auch der Ausguss. Dafür gab es fließendes Wasser von den Wänden. Die Hälfte der Decken waren heruntergebrochen, weil das Dach kaputt war. Zwei drittel der Dielen waren verfault. Eine bog ich bei Seite, die Holzbalgen unter der Decke mussten ebenfalls erneuert werden. Ein Aussichtsloses unterfangen in einem Land wo selbst ein Waschbecken zum Problem wurde. Von der Elektrik brauchten wir gar nicht zu reden. Da lebten die Feuersteins noch moderner. Nackte Drähte liefen über die Wand. Mir wurde erstmals so richtig bewusst, was für eine schöne Wohnung mein Vater hatte und wie wenig ich von dieser Welt wusste. Selbst Conny die in einer nicht so komfortablen Wohnung lebte war entsetzt was man da uns angeboten hatte. Die zweite Wohnung die wir anschauten war das Selbe in Grün. Wütend ging Conny zur Wohnungsverwaltung. Aber die ließ das alles kalt und meinten Geld für den Um und Ausbau wäre kein Problem wir müssten nur die Handwerker und das Material besorgen. Ja wo sollten wir die denn her nehmen, da wurden ja sämtliche Gewerke benötigt und Material gab es nur mit Schmiergeld und Beziehung. Selbst wenn ich die Handwerker und das Material auftreiben würde, wäre das Ganze nicht realisierbar. Denn die Arbeiten hätten nach Feierabend erledigt werden müssen. Da dauerte so ein Ausbau bis zu einem ¾ Jahr. Da wäre ich schon längst bei der Armee. Außerdem zahlte die Wohnungsverwaltung pro Handwerkerstunde nur fünf Mark, unter zehn Mark hob aber keiner die Maurerkelle.  Die Differenz hatte man selber zu tragen. Auf diese Art und Weise zu einer halbwegs vernünftigen Wohnung zu kommen konnte man vergessen. Also mussten wir erst heiraten und ein Kind in die Welt setzen. Normal war das Alles nicht mehr.
Inzwischen wurde Juli, August. Tobias genoss seine letzten Schulferien. Im September würde er seine Lehre im KBW als KFZ – Schlosser beginnen. Dann wären Roland und Becki seine neuen Kollegen. Abropo Becki, der hatte sich eine neue Freundin gesucht. Mein Gott Walter, was hatte er denn da aufgegabelt, die stand ja im krassen Gegensatz  zu den bisherigen Mädels. Was er bisher hatte, war ja alles bildhübsch gewesen und es waren liebe und nette Mädels. Aber das schlug dem Fass den Boden aus, sie hatte kurze struppige Haare, schaute meistens böse in die Welt und macht andauernd Stress. Passte ihr was nicht, posaunte sie es lauthals in die Welt, machte Andreas dumm vor anderen Leuten an und fing gleich an zu heulen, wenn er sich dagegen verwahrte. Sie war einfach nur ein Trampel wie es im Buche stand. Roland und ich suchten immer das Weite, wenn er mit ihr erschien. Irgendwann fragte ich Becki, Mensch sag mal, was findest du denn an der? Er schaute mich ganz verklärt an und sagte, Mülli schau dir doch mal die Brüste an, das sind absolute Megahammer. Ich schüttelte den Kopf und sagte, es langt mir wenn ich ihr ins Gesicht schaue. Den Rest behielt ich für mich. Er nahm es mir nicht weiter krumm, er hatte ja längst gemerkt das wir ihr aus dem Weg gingen und er fand es auch ein Stück ehrlich. Noch bevor ich zur Armee kam meinte er, Mülli du hast recht gehabt.
Inzwischen wurde es ende August, ich besorgte die Zugfahrkarten für den Urlaub. Die Freifahrtscheine von Vater waren jetzt passee für mich. Ich hatte ja ausgelernt. Wir wollten mit dem Zug bis Aschersleben fahren und dann Richtung Thale mit dem Bus. Am 3. September ging es los. Gegen 10.00 Uhr stiegen wir in den Zug nach Leipzig, dort mussten wir umsteigen. Kurz vor Riesa blieb der Zug auf offener Strecke stehen. Wir standen bereits eine halbe Stunde und nichts tat sich. Ich wurde langsam nervös, in Leipzig hatten wir eine knappe Stunde Überganszeit zu unserem Zug nach Aschersleben. Der Zugführer kam durch und erklärte die Lok ist defekt sie muss gewechselt werden, die Neue wäre schon unterwegs. Aber erst einmal musste die kaputte Lok abgeschleppt werden und erst dann konnte die Neue vorgespannt werden. Auf alle Fälle dauerte der Spaß über zwei Stunden und der Anschlusszug war fort. So verzögerte sich unsere Ankunft um vier Stunden. Aber wir hatten ja Urlaub und Zeit. Der Bus fuhr über Quedlinburg nach Thale. In Neinstedt stiegen wir aus. Der Busfahrer grinste so komisch und meinte viel Spaß bei den Ninis. Was er wohl damit meinte? Das wurde mir schnell klar. In Neinstedt befand sich eine große Nervenheilanstalt. Nur mit heilen war nicht viel, es waren richtig schwere Fälle. Manchmal gingen sie in kleinen Gruppen spazieren. Es schien ein kirchliches Heim zu sein. Die Schwestern hatten so eine merkwürdige Tracht an, die Heimbewohner waren ärmlich gekleidet. Es machte alles einen traurigen Eindruck. Als ich mit Conny durch die Ortschaft schlenderte stand hinter dem Zaun des Heimes ein Mann, das Alter ließ sich schwer schätzen. Auf einmal fragte er mich, bist du mein Bruder? Erschrocken schaute ich auf, wie ein Häufchen Elend stand er da am Zaun. Seinen schwermütigen durchdringenden, fast flehenden Blick werde ich wohl nie vergessen. Ein Einheimischer der gerade vorbeiging sagte zu mir, der steht immer hier und fragt die Leute. Anscheinend hat sein Bruder ihm versprochen, ihn einmal zu besuchen.
Das Ferienhaus war ein Schönes, der Eigentümer wohnte mit auf dem Grundstück in seinem Einfamilienhäuschen. Abends sagte Conny zu mir, ich höre auf die Pille zu nehmen. Das musste sie alleine Entscheiden, aber ich gab zu bedenken, wenn die Schwangerschaft vorbei ist, war ich immer noch bei der Armee. Ich konnte sie schon verstehen, immerhin war sie 23, da hatten viele in der DDR schon zwei Kinder. Der Urlaub wurde ein richtig Schöner wir fuhren mit den Bus oft nach Thale und wanderten ins Bodetal oder auf die Roßtrappe.

Thomas 19

Cornelia 23
Auf den Hexentanzplatz fuhren wir mit der Gondelbahn. Einige Souvenirmärkte gab es da oben, Hauptattraktion in den Kitschläden waren natürlich die Hexen. Eines Morgens rafften wir uns auf um uns die Rübelandhöhlen anzuschauen. Der Bus war gut gefüllt, so dass wir stehen mussten. Vor uns auf  dem Sitzplatz saß eine junge Mutti mit ihrem Sohn von vielleicht vier Jahren. Gelangweilt schaut dieser aus dem Fenster. Auf einmal war er wie elektrisiert, rüttelte seine Mutti aufgeregt am Arm und rief  ganz laut, schau mal Mutti, schau mal eine Hexe, eine Hexe. Ich schaute durchs Fenster, auf der Straße lief ein altes Mütterchen, gramgebeugt mit Kopftuch, sie sah wirklich wie so eine alte Hexe aus dem Kitschladen aus. Der ganze Bus lachte, der Mutter war es sichtlich peinlich und der Kleine kriegte sich vor Aufregung gar nicht mehr ein.
Auf dem Weg nach Rübeland querten wir die Rappbodetalsperre .Sie war einer der größten Wasserspeicher in der DDR. In Rübeland angekommen, marschierten wir schnurstracks zu den Höhlen. Die Tropfsteinhöhlen waren interessant und schön. Zuerst waren wir in der bekannteren Baumannshöhle, in der Hermannshöhle gab es sogar Grottenolme.


 Sonntags fuhren wir nach Quedlinburg, die Innenstadt beeindruckte mich schwer, obwohl vieles noch nicht restauriert war. Wie musste das erst die Menschen im Mittelalter begeistert haben.

Im Dom zu Quedlinburg lag der erste gesamtdeutsche König Heinrich I begraben und das dieser eine Sachse war machte mich besonders stolz. In der DDR waren die Länder abgeschafft worden, die Verwaltungseinheit waren jetzt  der Bezirk, aber man fühlte sich noch als solcher.
Auf der Busfahrt nach Quedlinburg war mir eine merkwürdige Felswand aufgefallen. Ich fragte einen Passagier, was den das für ein Gebilde ist. Er meinte das ist die Teufelsmauer. Zwei Tage später schwangen wir uns aufs Fahrrad um uns das Ding einmal näher anzuschauen. Diese Felsenwand hatte was imposantes. Sie zog sich etwa 20 km durch das flache Harzvorland. Conny und ich kletterten darin herumrum.Unterhalb der Mauer sammelte jemand Kräuter.

Die Person schaut  kurz von seiner Arbeit auf. Ich dachte Mensch das gibt es doch gar nicht, das war doch der Hansen Andreas, der wohnte viele Jahre im gleichen Haus wie ich nur bei Roland und Becki im Hauseingang. Irgendwann war er verschwunden und da er ein absoluter Sonderling war, fragte auch niemand nach ihm. Genau genommen war er ein armes Schwein, seine Eltern waren Glaubensfanatiker und überzeugt davon, Andreas wäre vom Teufel besessen. Mehrmals hatten sie versucht ihm den Teufel austreiben. Seine Schwester war geistig behindert. Erstaunt fragte ich Andreas was machst du denn hier? Er sagte, ich arbeite hier im Behindertenheim. Manchmal sammle ich Kräuter, manchmal helfe ich bei der Bertreuung der Behinderten und ich bete viel. Warum nicht, meinte ich, wenn es dich glücklich macht. Glücklich, er schaut mich an, es macht manches einfacher. Ich muss weitersammeln, grüß deinen Bruder schön. Mach ich sagte ich, viel Glück für dich. Beim  fortgehen sagte ich zu Conny, er ist der komische Kauz geblieben. Abends setzten wir uns auf die Gartenbank. Im September wurden die Abende schon kühler, ich liebte solche Stunden.
Die 14 Tage Urlaub waren schnell vorbei, viel zu schnell.

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