Dienstag, 15. Februar 2011

Fahrt nach Lobenstein

Es war inzwischen Mitte September geworden. Bernd sang immer das Lied von Willem,Tarzan ist wieder da. Er meinte der Willem ist ein totaler Kunde. Manchmal beneidete ich ihn um das Westfernsehen. Die ganze Republik spottete über unser Tal der Ahnungslosen. Bernd blödelte rum, du kannst mich ja mal besuchen kommen. Er wusste ganz genau dass dies nicht möglich war, da er ja in der Sperrzone wohnte. Oft hatte ich mich gefragt, wie es wohl bei Bernd zu Hause aussieht. Im tiefsten Inneren war es mir schon klar aber was man nicht sehen und hören kann beflügelt die Phantasie. Egal ob es das Fernsehen betrifft oder die Natur. Ich stellte mir immer vor, Bernd wohnte hinter einer riesigen Nebelwand durch die man nicht schauen und laufen konnte. Was wir nicht wussten, Eckhold hatte schon lange einen Besuch im Feingusswerk Lobenstein geplant. Wir Lehrlinge sollten einmal sehen, wie es in der modernsten Gießerei der DDR aussah. Das Prinzip des Feingusses hatten wir von der Theorie her in der Berufsschule behandelt. Ich freute mich riesig auf den Ausflug nach Thüringen und in der Tat sollte er etwas ganz besonderes werden. Donnerstag dem 6. Oktober kurz vor 5.00 Uhr fuhr der Zug vom Dresdner Hbf los. Die Jungs und die Lehrmeister trafen sich im Betrieb. Ich stieß erst im Hbf zu ihnen. Es machte ja keinen Sinn für mich erst nach Heidenau zu fahren. Meine drei Thüringer hatten ihre Reisetaschen mit. Sie blieben gleich oben, denn Freitag der 7. Oktober war Feiertag. Der 7. Oktober war Republikgeburtstag und der wurde immer mit einem großen Tamm, Tamm begangen. Mir ging so etwas zwar auf den Zünder, aber man hatte frei. Von den Lehrmeistern  fuhren Rackowski und Leinert mit und logischer Weise Eckhold. Immer wenn etwas Besonderes angesagt war durfte er nie fehlen. Schon im Vorfeld der Reise hatte ich Eckhold erklärt, dass ich keine Fahrkarte brauchte, da ich über Freifahrtscheine verfügte. Den Schaffner im Zug bis Leipzig interessierte es überhaupt nicht, für den gehörte ich mit zur Gruppe. In Leipzig hatten wir 20 Minuten zum Umsteigen. Die Zeit langte gerade so, wir mussten von einem Ende zum Anderen und einige von uns wollten noch ein paar aktuelle Zeitungen kaufen. Wir fuhren von Leipzig nach Triptis mit dem Personenzug. Auch hier interessierte sich der Schaffner nicht für meine Fahrkarte. Ich fuhr gerne Zug, zu mindestens Tags über. Ganz entspannt konnte man die Landschaft genießen. Es gab immer etwas zu sehen und zu entdecken, selbst wenn man täglich die gleiche Strecke fuhr. In Triptis stiegen wir aus und hatten eine knappe Stunde zeit bis unser Zug nach Lobenstein bereitgestellt wurde. Triptis lag schon im Bezirk Gera. Von hier fuhr der Zug über Auma, Ziegenrück nach Lobenstein. Ich wusste, landschaftlich war die Strecke ein Kleinod. Als Kind war ich des Öfteren an der Hohenwartetalsperre gewesen, da sind wir immer über Ziegenrück gekommen. Auch mit dem Fahrrad hatte ich in den Sommerferien 1975 die Gegend erschlossen. Die Meisten von uns interessierten sich allerdings nicht für die Landschaft. Kurz nach Ziegenrück kam der Schaffner und der kam nicht alleine. In seinem Schlepptau kam die Transportpolizei mit. So etwas hatte ich überhaupt noch nie erlebt und ich war viel Zug gefahren. Eckhold gab dem Schaffner das Bündel der Einzelfahrkarten. Damit war dieser aber nicht zufrieden. Eckhold musste jeden Lehrling seine Fahrkarte zuteilen. So konnte der Schaffner sehen ob die Anzahl der Fahrkarten mit denen der Personen identisch war, klar wir näherten uns der Westgrenze. Von mir wollte der Schaffner wissen, ob ich mit zur Gruppe gehörte. Als ich bejahte, wollte er wissen warum ich einen Freifahrtschein benutze. Weil mein Vater bei der Bahn arbeitet, antwortete ich patzig. Er wollte meinen Personalausweis sehen. Dazu war er berechtigt, wer einen Freifahrtschein nutzte, musste sich ausweisen können. Auf diese Art wurde der Missbrauch der Fahrscheine vermieden. Von den Anderen der Gruppe durfte er die Ausweise nicht kontrollieren, das machte die Trapo. Hagen und Berze hatte keinen Ausweis dabei. Der Polizist machte Rabatz. Eckhold platzte der Kragen. Im Ton eines Menschen der rumkommandieren gewohnt war und keinen Widerspruch duldete, sagte er zu dem Polizisten, hören sie auf mit der Maßnahme, sie sehen doch dass wir zusammengehören. Der Polizist wollte aufbegehren. Eckhold zeigte ihm ein Papier, dass die Dienstreise beglaubigte. Damit war die Sache erledigt. Ich dachte dass gibt es doch alles gar nicht. Das glaubt dir mal keiner, das war ja die Kontrolle vor der Vorkontrolle. Die Roten spinnen doch total. In Lobenstein angekommen, lotsten uns die drei Thüringer stolz in ihre Firma. Obwohl sie kaum im Feingusswerk waren, kannten sie viele Kollegen, wie das in ländlichen Regionen üblich ist. Jedes mal wenn Bernd gegrüßt wurde, wuchs er ein Stück. Wir wurden von Abteilung zu Abteilung geführt. Ich war richtig beeindruckt. Der Feinguss war ein recht hochwertiges und vor allem präzises Gießverfahren für Stahl. Zuerst gingen wir in den Formbau. Hier wurden die Gießformen hergestellt. Diese wurden mit flüssigen Parafin gefüllt. So entstanden die Negative. Um eine brauchbare Gießform zu erhalten wurden die Negative in flüssige Keramik getaucht und zum trocknen in einen Spezialofen gehängt. Nach diesem Arbeitsschritt wurde das Parafin erhitz, so das es aus der Keramik herauslaufen konnte. Übrig blieben die Gießformen. Danach ging es in die eigentliche Gießerei. Dort wurde der flüssige Stahl in die Gießformen gefüllt. Was mich am meisten beeindruckte, war die Sauberkeit, die in der Gießerei herrschte. Zum Abschluss gingen wir in die Gütekontrolle. Hier wurden gegossene Probestücken auf ihre Qualität untersucht. Die Probestücke wurden in eine Maschine eingespannt und auf ihre Zugfestigkeit geprüft. Wie einem Kaugummi gleich fing bei einer bestimmten Zugkraft der Verformungsprozess des Stahles an. Alles sah so spielerisch aus, dabei waren gewaltige Kräfte am wirken. Der Arbeitsvorgang wurde solange fortgesetzt bis es zum Bruch des Probestücks kam. Jede einzelne Phase wurde von der Maschine erfasst und ausgewertet.
Bis auf die Thüringer, machten wir uns auf den Rückweg. In einem am Weg zum Bahnhof liegenden Konsum fassten wir noch ein paar Flaschen Bier aus. Eckhold störte es nicht. Er meinte nur solange es im Rahmen bleibt ist es in Ordnung. Sich mit Eckhold anlegen war eh dem kein Vergnügen. Also tanzte auch niemand aus der Reihe. Der Zug fuhr von Lobenstein nach Saalfeld. In Saalfeld stiegen wir in den D- Zug nach Leipzig und von da ging es weiter nach Dresden. Kurz nach 23.00 Uhr kamen wir an. Für mich war die Zugfahrt zu Ende. Die Anderen mussten noch nach Heidenau und Pirna.






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