Montag, 14. Februar 2011

Silvester


Durch den Fotoverkauf hatten wir ca. 200,00 Mark in unserer Silvesterkasse. Leider waren wir so naiv gewesen und hatten gedacht, wenn wir zwei, drei Tage vor Silvester uns um Karten kümmern reicht das. Da waren die Messen schon lange gelesen. Herr Arnold musste zwischen Weihnachten und Silvester arbeiten. Er hatte in Karl - Marx – Stadt zu tun. Er rief zu Hause an, in Karl-Marx-Stadt gibt es noch Karten für eine Silvesterfeier in Weinböhla. Alderdings müssten wir die Zugfahrt von Karl-Marx-Stadt mit bezahlen und deswegen kostet die Karte 25,00 Mark. Eigentlich Wahnsinn wenn man nur 90,00 Mark verdient. Ich fragte Roland, was ist denn alles noch im Preis mit drin? Er sagte, das Essen und eine halbe Flasche Wein sowie die Abendunterhaltung. Roland, sagte ich, wenn du in eine gute Kneipe gehst und ein teueres Essen bestellst, zahlst du 5 Mark und die Zugfahrt, was soll das, der Zug hält ja nicht mal in Dresden. Ach komm meinte er, wir haben doch 200 Mark gespart. Ich ließ mich von Roland überreden, zu Hause rum zu sitzen hatte ich ja auch keine Lust. Weinböhla lag zwischen Dresden und Meißen vom Hbf ungefähr 17 km entfernt. Um nach Weinböhla zu kommen mit den Öffentlichen gab es mehrere Möglichkeiten. Eine war die S – Bahn. Man stieg am Hbf in den Zug Richtung Meißen und fuhr bis Weinböhla. Dann trabte man einen reichlichen Kilometer bis zum Gasthof. Die andere war die Straßenbahn. Im Stadtzentrum stieg man in die Linie 4 und fuhr Richtung Weinböhla. Allerdings war das ein ganz schönes gekutsche ehe man dort ankam. Dafür hat man es nicht so weit von der Haltestelle bis zum Gasthof. Die eigentliche Frage war, wie kommen wir nach Hause? Die Veranstaltung ging bis Früh 2.00 Uhr, da fuhren weder Straßenbahn noch Zug. An Taxi brauchte man sowie nicht denken, da gab es eh zu wenige und Schwarztaxi konnten und wollten wir uns nicht leisten. Herr Arnold meinte, steigt in den Zug nach Karl-Marx-Stadt der hält zwar nicht in Dresden aber dafür in Freiberg. Dort steigt ihr aus und nehmt früh die erste S- Bahn nach Dresden. Mein Gott Walter dachte ich, da können wir ja gleich über Rom fahren. Aber man konnte es drehen und wenden wie man wollte, es schien die vernünftigste Lösung. Silvester, der 31.12.1976, der ganze Spaß begann 18.00 Uhr. Vorsichtshalber verzichteten wir auf Jeans. Ich zog meine beigen Schlaghosen an. Als Jackett trug ich eine weiße Jacke von Camel. Eigentlich war sie aus Jeansstoff, aber das sah man erst auf dem 4. Blick. Einen Schlips steckten wir uns vorsorglich in die Hosentasche. Wir hassten Schlipstragen, dass war für uns das Oberspießbürgerliche. Genau genommen war es eigentlich gar nicht der Schlips der einem so übel aufstieß, sondern die Menschen die dass Schlips tragen zu solchen Anlässen propagierten. Schaut man sich solche Typen mal näher an, es waren die Letzten. Ihre Verachtung traf jeden der anders gekleidet war, wie sie selber. Sobald der Alkohol floss, waren sie die ersten die sich das Beweißstück der besseren Gesellschaft vom Leibe rissen und in die Hosentasche knüllten. Wir entschlossen uns mit der S- Bahn zu fahren. Kurz nach 18.00 Uhr kamen wir in Coswig an. Der Sonderzug aus Karl-Marx-Stadt war schon da. Die letzen Nachzügler stiegen gerade aus. Frauen in langen Mänteln und eleganten Kleidern stöckelten mühselig mit ihren Absatzschuhen übers Pflaster. Genauso, wie ich es befürchtet hatte, alles solche Alten über 30. Da konnte man nur hoffen, dass manche Mutti ihr hübsches Töchterlein mit hatte. Wir ließen uns Zeit beim laufen zum Zentralgasthof. Lebhaft konnten wir uns vorstellen, was an der Garderobe so abläuft. Als wir dann endlich am Gasthof ankamen, war der größte Schwung schon durch. Nachdem wir unsere Sachen abgegeben hatten, gingen wir in den Saal und suchten unseren Tisch. Auf den Eintrittskarten standen die Tischnummer und die Plätze. Nach einigen suchen fanden wir unseren Tisch. Nur saßen schon Andere auf unseren Plätzen. Nach einem kurzen Disput räumten die Sündigen unsere Stühle. Es gab Einheitsessen, Vorsuppe undefinierbar, Hauptgericht Zigeunersteack mit Pommes und ein Eisbecher als Nachtisch. Nach Mitternacht sollte es noch eine Suppe geben. Die Flasche Wein konnten wir wählen zwischen Cotnari, Lindenblättrigen oder eine Flasche Cabernet. Roland meinte Cotnari ist süß und süffig, ich sagte von mir aus. Das Abendprogramm begann. Irgend so ein albernes Orchester spielte  mehr oder weniger aktuelle Musik. Zwischen rein gab ein müder Pausenclown abgedroschene Slapsticks von sich. Ich ging auf Suche, Mädelsuche und siehe da, einige Muttis hatten wirklich ihre Töchter mit. Ich gabelte so eine kleine süße Maus auf. Petra war ein Jahr jünger wie ich und kam von irgend so einem Dorf bei Karl-Marx-Stadt. Beim Tanzen erzählte sie mir, das sie auf die EOS geht. Ich holte sie mit an unseren Tisch. Inzwischen hatte sich jede Sitzordnung aufgelöst. Petra trank Cotnari, mir war es recht. Da konnte ich in Ruhe mein Bier trinken, denn beides durcheinander wäre bestimmt schief gegangen. Wir tanzten viel, in eine der Pausen schleifte sie mich mit zu ihren Eltern. Sie meinte, da wissen sie wenigstens mit wem ich mich rum treibe. Dabei lächelte sie mich an. Ich dachte oh Gott Mädel, du sollst mich ja gar nicht heiraten. Ihre Eltern waren ganz Nette, sie sprachen einen „gepflegten arzgebirgischen Dialekt“. Mir viel gleich wieder die blöde Weihnachtssendung ein. Die „heiße Band“ fing wieder an zu spielen, flugs sagte ich zu ihren Eltern, ich werde ihnen jetzt ihr Töchterlein entführen und ging mit ihr tanzen. Kurz vor Mitternacht gingen wir raus. Roland wummerte wie ein Verrückter mit seinen Knallern rum. Punkt Mitternacht drückte Petra mir einen dicken Schmatz auf den Mund, wir küssten uns, Roland schaut weg. Ich sagte zu Roland mit einem Grinsen im Gesicht, darf ich dich auch küssen. Er sagte, Blödmann. Petra ging zu ihm und gab ihnen einen Kuss auf die Wange, Roland strahlte. Während sie zu ihren Eltern ging um ihnen zum neuen Jahr zu gratulieren, löffelten wir unsere Mitternachtssuppe rein. Auch wenn ich keinen Hunger hatte, bezahlt ist bezahlt. Die Veranstaltung ging ihrem Ende entgegen. Ich ging zu Petra mich verabschieden. Sie fragte, höre ich wieder mal was von dir? Mir ging so durch den Kopf, wie ich jedes Mal nach Karl-Marx-Stadt gurke und sie mir irgendwann erzählt, dass sie einen Freund bei der Armee hat. Ich sagte Nein, du wirst sicherlich einen netten Jungen aus deinem Dorf finden, sie schmollte. Ich gab ihr noch einen Kuss zum Abschied und ging.
Der Zug fuhr mit einer viertel Stunde Verspätung ab, eh die letzten Betrunkenen eingetrudelt waren dauerte eben seine Zeit. Es fing leicht an zu schneien. Vor den Sonderzug hatten sie eine blank gewienerte Dampflok der Baureihe 03 gespannt. Wir waren gerade 10 Minuten mit dem Zug gefahren, da hörten wir wie der Zugführer zu Fahrgästen sagte, auf dem Bahnhof Dresden – Neustadt ist Lokwechsel. Auf der Strecke ist so starker Schnellfall, da schafft es die Dampflok nicht den Tharandter Berg hinauf. Eine E – Lok wird angehangen. Roland sagte Mensch das ist unsere Chance. Auf dem Bahnhof Neustadt stiegen wir aus. Zufälliger Weise schaute Petra aus dem Fenster, sie winkte bis ich nicht mehr zu sehen war. Roland schaute auf den Fahrplan, wann und ob ein Zug rüber zum Hbf fuhr. Er rief komm beeil dich, in zwei Minuten fährt ein D – Zug aus Leipzig vom Bahnsteig 4 zum Hbf. Ich fragte und Fahrkarten, wir haben doch nur welche für den Sonderzug. Ach quatsch, die zwei Haltestellen fahren wir schwarz und so kamen wir  Minuten später wohlbehalten auf dem Hbf an. Vor dem Haus fragte Roland mich ob ich Petra wieder sehe. Ich sagte nein. Schade meinte er, sie war doch eine ganz Liebe. Wortlos ging ich in meine Wohnung.

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