Dienstag, 15. Februar 2011

Der Abschlussmarsch

Es wurde so langsam aber sicher Herbst. Ende September schickte die Sonne ihre letzten wärmenden Sonnenstrahlen gen Erde. Auf Arbeit gab es auch nicht viel Neues, außer das Uwe wieder auf Arbeit war. Zwei Monate nach seinem Unfall konnte er wieder arbeiten. Sie hatten ihn an den verbrannten Stellen Haut verpflanzt. Die Haut hatten sie in der Hüftengegend entnommen und auf die Beine gesetzt. Die Chirurgen hatten ihr Handwerk bestens verstanden. Uwe hatte den Unfall geistig gut verarbeitet. Seine Leistungskurve zeigte steil nach oben. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte er sich zum besten Lehrling. Auch ich konnte meinen guten Zensurendurchschnitt halten. Das Arbeiten an der Drehbank hatte mir schon immer Spaß gemacht. Eckhold verkündete in 14 Tagen ist der GST – Abschlussmarsch. Wilde Gerüchte rankten sich um diesen. Zwiebel war wieder in seinem Element. Sein großer Bruder hatte ja auch hier gelernt. Angeblich hatte sein Abschlussmarsch mit Waffen und Platzpatronen stattgefunden und mit Tränengaspatronen wurden sie überfallen, und, und, und. Ich hörte schon gar nicht mehr hin. Ändern konnte man es sowieso nicht. Aber auf alle Fälle konnte ich mir vorstellen, das Eckhold sich irgendeine Gemeinheit ausdenken würde. Mir war das Wurst, was für mich viel interessanter war, Familie Arnold wollte am nächsten Wochenende nach Budapest mit dem Zug fahren, um einzukaufen. Die Reichsbahn hatte für ihre Mitarbeiter Freifahrtscheine ins sozialistische Ausland eingeführt. Die Anzahl der Scheine wurde nach Dienstjahren bemessen. Das Problem war, wenn man nach Ungarn wollte, genug Forints zu bekommen. Als DDR – Bürger stand einem nur ein begrenztes Kontingent zur Verfügung. Für Roland war das kein Hindernis. Die ältere Schwester von unserem Kumpel Michael war mit einem Ungarn verheiratet. Wir gingen zu ihr hin und Roland tauschte bei ihr genügend Geld. Ich hatte Roland schon im Vorfeld gebeten 20 Mark mehr zu tauschen. Ungarn war im Ostblock das Land, was dem Westen am nächsten stand. Da gab es reichlich hochaktuelle Modeartikel zu kaufen. Für uns Ostdeutsche war es das Einkaufsparadies, wenn man es bezahlen konnte. Roland sollte mir ein langärmliches T – Shirt mitbringen. Mir gefielen schon immer die Shirts die Länderflaggen nachempfunden waren. Besonders gut gefiel mir das mit der britischen Flagge, dem Georgskreuz. Roland hatte mir versprochen ein Solches mitzubringen. Aber verrückt war die Aktion trotzdem. Arnolds fuhren am Freitagabend, 2. Klasse, vom Hbf und waren am Samstagvormittag in Ungarn. Dann hatten sie ein paar Stunden Zeit zum Einkaufen, bis nachmittags die Geschäfte schlossen. Den restlichen Tag bummelten sie durch Budapest, nachdem sie ihr Gepäck in eine der Gepäckboxen im Bahnhof verstaut hatten. Am
späten Abend gingen sie zum roten Kreuz und bekamen so ein preiswertes Nachtquartier. Gewöhnlich hatten die Züge die nach Dresden oder Berlin fuhren und aus Rumänien kamen schon gewaltig Verspätung, wenn sie in Budapest hielten. Genauso war es diesmal, als sie in Dresden ankamen hatten sie 8 Stunden Verspätung. Am nächsten Tag lauerte ich schon auf Roland als er von der Arbeit kam. Tatsache er hatte mir ein Nicki mitgebracht. Wenn auch nicht mit dem Georgskreuz, dafür mit der USA-Flagge. So etwas bekam man nicht mal im Intershop für DM. Ich war stolz wie Oscar und zog es gleich am nächsten Tag in die Schule an. Im Unterricht bei Herschel sprachen wir über Sinn und Unsinn der GST Ausbildung. Fakt war wer einen Facharbeiterabschluss erhalten wollte musste sie mitmachen, so stand es im Lehrvertrag und den hatte jeder unterschrieben, bzw. die Eltern von uns Jugendlichen. In diesem Zusammenhang kamen wir auf die Zeugen Jehovas zu sprechen. Die lehnten jeglichen Umgang mit Waffen ab, ebenso die militärische Vorausbildung. Herschel sagte, im Lehrbetrieb war es schon ganz vereinzelt vorgekommen, das Zeugen Jehovas keinen Abschluss erhalten hätten. Mir war das Wurst, für mich waren das alles Spinner. Mochte der einzelne Mensch auch nicht schlecht sein, im Rudel waren sie eine Plage. Es verlangte ja keiner, dass sie eine Waffe anfassten, sie hätten aber an der Ausbildung teilnehmen können. Sich wegen so einem Unsinn das Leben verpfuschen. Es gab und gibt in jeder Gesellschaftsordnung Verordnungen, Gesetzte und Reglungen, die zum täglichen Leben gehören, auch wenn sie einem nicht passen. Die Kirche war auch nicht viel besser.  Jahrhunderte lang hatte die Kirche ihren Glauben mit Feuer und Schwert verbreitet und vor den Nazis hatte sie den Schwanz eingezogen. Die sollten alle mal ganz ruhig sein. Es entwickelte sich eine heiße Diskussion. Müller Frank aus Sebnitz propagierte die grenzenlose Freiheit, jeder müsse tun und lassen können was er wolle. Das wäre ja die blanke Anarchie sagte unser langer Schmittl. Jürgen meinte das will doch keiner. Warum nicht rief Frank, es ist doch einfach geil. Detlef sagte zu Frank hör doch auf rum zu spinnen. Frank fühlte sich angemacht und wurde ausfällig. Herschel rief ihn zur Vernunft. Frank tickte völlig aus und rief, ich mach was ich will. Herschel sagte, das wirst du nicht und ab morgen möchte ich dein Hemd nicht mehr in dieser Schule sehen. Ich dachte was wird denn das jetzt? Was hat er gegen das schicke Safarihemd? Frank brüllte ich zieh an was ich will. Wo her du das Hemd hast interessiert mich nicht, aber der Aufnäher auf deinem Hemd verherrlicht eine Bomberstaffel aus dem Vietnamkrieg, die Black Eagles. Die haben mit ihren Angriffen auf die Zivilbevölkerung tausende unschuldige Männer, Kinder und Frauen getötet. Na und, Frank fuchtelte wild mit den Händen in der Luft, Thomas hat ein Hemd an das zeigt die Flagge von dem Land dass die Einsätze befohlen hat. Du Arsch dachte ich, erst reitest du dich in die Scheiße und dann schmeißt du damit nach anderen. Herschel sagte, eine Flagge ist ein Staatssymbol, dein Aufnäher zeigt die Verherrlichung von Verbrechern. Er ging mit Frank zum Direktor. Herschel kam alleine zurück, Frank diskutierte noch mit dem Direktor. Salomonisch meinte er nur, es gibt Dinge im Leben die muss man nicht sehen aber man kann sie sehen. Damit war die Sache für ihn erledigt.
Freitag, es war soweit der Abschlussmarsch stand an. Früh um 7.00 Uhr kletterten wir auf den Lkw. Er brachte uns nach Pirna Zehista. In der Nähe von Zuschendorfer Schloss mussten wir absteigen. Mit Karte und Kompass führten uns die Lehrmeister kreuz und quer durch das Gelände. Wir mussten verschiedene Kontrollpunkte anlaufen. Wir nahmen es locker, es strengte uns nicht übermäßig an. Von Kontrollpunkt zu Kontrollpunkt näherten wir uns Pirna - Neundorf. Kurz vor Pirna brachen auf einmal Eckhold und Konsorten aus den Büschen und schmissen Nebelbomben. Dixi brüllte Achtung Gas, Gasmasken raus und aufsetzen. Eckhold freute sich wie ein kleines Kind. Wir mussten bis zum Ortseingang von Pirna mit Gasmaske marschieren. Pirna machte hier am Ortsrand eher einen ländlichen Eindruck. Nicht weit vom Ortseingang hatte Eckhold unmittelbar an der Gottleuba einen Rastplatz errichten lassen. Bevor wir aus der Gulaschkanone verpflegt wurden mussten wir an einem Seil über den Fluss hangeln. Allzu breit war er nicht ich schätzte so reichlich 10 Meter. Das Seil war zwischen zwei Bäumen befestigt. Ich ergriff es mit den Händen und schwang mein rechtes Bein über das Seil, so dass es in der Kniekehle hängen blieb. Langsam rutschte ich am Seil Richtung Flussmitte, ein Kinderspiel es ging ja bergab. Ungefähr ab Flussmitte ging es wieder aufwärts. Auf einmal hatte man das Gefühl aus den noch zurückzulegenden Metern waren Kilometer geworden. Am elegantesten sah es bei Berze aus. Spielerich glitt er am Seil entlang. Zwiebel dagegen hing wie ein nasser Sack am Seil und fing sich dafür manch spöttische Bemerkung ein. Auf einmal wurde es lauter, die Gießereilehrlinge waren eingetroffen. Anstatt erst übers Seil zu hangeln, ging ein Großteil von ihnen Essen fassen. Mit vollem Bauch ließ sich natürlich viel schwerer hangeln und es kam wie es kommen musste. Zwei von ihnen vielen in den Fluss. Völlig durchnässt und unter dem Gespött der anderen  wateten sie aus dem Wasser. Dafür hatten sie den Vorteil, dass der Marsch für sie hier zu Ende war, während wir anderen noch 4 km Richtung Stadtzentrum marschieren mussten. Am Geibelbad warteten die LKWs, die uns wieder nach Heidenau brachten. Im Zug hatte ich das Gefühl mir eine Erkältung zugezogen zu haben. Zu Hause angekommen nahm ich erst einmal ein heißes Bad. Ich wurde so etwas von müde, das ich mich nach dem Bad erst einmal eine Stunde hinlegen wollte. Am nächsten Morgen wachte ich 8.00 Uhr auf. Ich fühlte mich wie neu geboren.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen