Dienstag, 15. Februar 2011

Der Werkzeugbau

Ende Februar wechselten wir die Abteilung. Es war das letzte Mal, dass wir in den Werkzeugbau mussten. Rakowski war nun unser neuer Lehrmeister. Ihm merkte man an, dass seine Armeezeit noch nicht soweit zurücklag. Er hatte den Kasernenton noch voll drauf. Kreativität war nicht mehr gefragt, nur stummes Gehorchen. Ich kam mit Rakowskis Art überhaupt nicht klar. Aber ganz so anfällig wie im ersten Lehrjahr war ich nicht mehr. Während ich bei Leinert ganz klar auf Drei lag, kämpfte ich im zweiten Lehrjahr um eine Zwei.
Am 03.03. 78 war mal wieder eine Sonderschicht angesagt. In der Gussputzerei hatte es größere Produktionsausfälle gegeben. Wir sollten mit Aushelfen. Eigentlich machte ich das Gerne ein Mal. Hier kamen unsere Gesenke die wir zusammengebaut hatten zum Einsatz. Da konnte man live sehen, wie das alles funktionierte. Außerdem war Kost und Logie frei und 10 Mark extra waren auch noch drin.
Wer den Teilberuf eines Gussputzers erlernte hatte dem fehlte der Abschluss der achten Klasse. Außerdem arbeiteten in der Gusputzerei noch jede Menge ungelernte Arbeitskräfte, z.B. Menschen die die Hilfsschule besucht hatten. Eigentlich fand ich es gut, dass Vater Staat auch für solche Menschen Arbeit hatte. Mir viel auf, das hier die Hackordnung viel größer war wie in der Hauptproduktion. An unterster Stelle standen Menschen wie Rosi. Sie hatte nur den Abschluss der Hilfsschule, konnte weder richtig schreiben noch lesen. Die gelernten Gussputzer ärgerten sie ständig. Der Zufall wollte es, dass ich mit ihr zusammen arbeiten musste. Rosi war schon ein Unikum. Sie trug Kniestrümpfe bis kurz unter die Knie. Dazu eine blaue Kittelschürze mit rotem Saum die knapp über die Kniee hing. Beim laufen schauten ihre dicken, nackten Kniee unter der Schürze raus. Die Frisur trugen alte Frauen in den 40ziger Jahren moderner. Sie verriet mir dass sie 31 war. Mein Gott Walter dachte ich, die sieht ja wie Ende 50zig aus. Sie erzählte mir dass sie am dreiten dritten zum Zahnarzt muss. Ich fragte sie, wann musst du zum Zahnarzt? Na dreiter dritter sagte sie wieder. Ich schaute sie fragend an. Sie kramte aus ihrer Schürzentasche einen Zettel und zeigte ihn mir. Ach 03.03. meinst du. Rosi strahlte, das hat mein Mann mir aufgeschrieben. Einen Mann hast du fragte ich erstaunt?  Ja seit zwei Jahren bin ich verheiratet. Na da meinte ich, was macht er denn beruflich? Er ist bei der Reichsbahn, sagte sie wieder. Ich dachte an Vater und lachte in mich hinein. Die Arbeit selber war richtig stumpfsinnig. Mit einem Gummihammer schlugen wir die Gussteile  vom Angussstück ab bevor sie in die große Trommel zum entgraten kamen. Ich musste mich gewaltig sputen um Rosis Tempo mitgehen zu können. Kurz vor der Mittagspause kam Peter um die Ecke gepfiffen, er lernte Gussputzer, nahm Rosis Colaflasche und stellte sie auf einen Schrank. Neben den Schrank stellte er einen Stuhl. Zu mir gewand sagte er, pass mal auf was das wird. Rosi brüllte immer wieder, gib mir meine Cola. Peter lachte, hol sie dir doch selber. Rosi versuchte an die Flasche auf dem Schrank zu kommen. Sie war einfach zu klein. Sie tobte wie Rumpelstilzchen um den Schrank. Stolz meinte Peter, die ist zu doof den Stuhl zu nehmen, lieber holt sie sich eine neue Flasche. Tatsache, Rosi wollte gerade loslaufen. Ich drehte mich zu Peter, ihr seid doch genauso bescheuert wie Rosi, los gebe ihr jetzt die Flasche wieder oder es kracht. Die Sprache verstand Peter gut, hastig nahm er die Flasche vom Schrank und drückte sie Rosi in die Hand. An diesem Tag verpasste ich meinen Zug nach Dresden. Der Weg von Dohna nach Heidenau war einfach zu lang. Ärgerlich entschloss ich mich, nach Dresden Luga zu laufen. Von dort fuhr ein Bus zum Hauptbahnhof. Das ließ sich laufen und wie das so ist wenn einmal  was schief ging, der Bus fuhr vor meiner Nase weg. Bedient wollte ich zum Fleischer und mir was zum Beißen zu holen. Der Laden hatte wegen Krankheit geschlossen. Es war nicht zu fassen, so ein Mist aber auch. Ich stellte mich an die Bushaltestelle unter die große Kastanie. Wütend starrte ich auf den kleinen Friseurladen gegenüber, der Meister selbst buckelte gerade einen Kunden hinaus und ich dachte so bei mir hier möchtest du mal nicht begraben sein. 14 Tage vor dem Wechsel in den Werkzeugbau waren Ferien in der Berufsschule. Einen Tag  vor  Ferienbeginn  war Elternabend. Erstaunlicher Weise war mein älterer Herr dort aufgeschlagen. Wie immer beschlich mich ein ungutes Gefühl, wenn so etwas angesetzt war. Das reichte noch aus meiner Schulzeit rüber. Es war schon eigenartig, vor dem Gesetz war man volljährig aber die Kindheit ließ sich von Heute auf Morgen nicht abstreifen. Am nächsten Tag sagte Vater bloß, von dir hat man an der Schule eine recht hohe Meinung. Ob das ein Lob war oder nur eine Feststellung, ließ sich aus seinen Worten nicht  entnehmen.
Wie schon im ersten Lehrjahr wurde es wieder eng in der Lehrwerkstatt. Das hatte aber auch seinen Vorteil, man lernte das erste Lehrjahr besser kennen. Da war zum Beispiel Oliver Berndt.  Er war höchstens 1,60 groß oder klein, wie man es sehen wollte. Er verschlief fast täglich, er wurde von uns jedes Mal mit einem großen Hallo begrüßt. Dafür hatte er es bei Leinert total verspielt. Der kochte förmlich vor Wut. So hatte ich ihn während meines ganzen ersten Lehrjahres nicht erlebt. Olli war kein schlechter Kerl. Er hatte zu Hause mehrere Schallplatten aus dem Westen von T. Rex. Er borgte sie mir, damit ich sie auf Tonband aufnehmen konnte. In die Ferienzeit viel wieder mal das Werben der SED nach neuen Mitgliedern. Seit dem Tod meiner Mutter ließ man mich mit so etwas in Ruhe. Aber Frank Knobloch vom ersten Lehrjahr nahm man so richtig in die Mangel. In der Mittagspause fragte ich ihn, na und was ist? Frank druckste rum, dann rückte er raus, er hatte denn Antrag auf Mitgliedschaft unterschrieben. Ich sagte zu ihm, rote Socken haben an meinem Tisch nichts zu suchen, scher dich fort. Hagen und Olli vielen gleich mit ein. Wir machten ihn richtig fertig. Der treibende Keil war ich.  Am nächsten Morgen kam Frank blass wie eine Kalkwand auf Arbeit und ging zu Eckhold. Danach sprach er nicht mehr mit uns. Erst zur Frühstückspause wurde er gesprächiger. Er hatte seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED zurückgezogen. Mich beschlich ein dummes Gefühl, so einen Spießrutenlauf machte keiner freiwillig. Deshalb fragte ich ihn warum? Ich hatte ordentlich Muffensausen, denn schließlich hatte ich ihn ja auf das Übelste belegt. Frank sagte, mein Vater hat zu mir gesagt, wenn du die Mitgliedschaft nicht zurückziehst schmeiße ich dich zu Hause raus und hat mir eine runter gehauen. So bitter es für Frank war, mir viel ein Stein vom Herzen.
Mit Rakowski  bekam ich richtig Zoff. Immer wenn wir ein Arbeitsprojekt hatten arbeiteten wir zu zweit daran. Kurz vor Feierabend wurde unsere Arbeit bewertet. Ich arbeitete mit Hagen. Für jeden wurde eine Zensur vergeben. Meistens gab es zweien und dreien. Rakowski kontrollierte die gemachte Arbeit und vergab für die einzelnen Arbeitsgänge Noten. Ohne zu wissen wer von uns die Arbeit gemacht hatte, bekam ich in der Regel die schlechtere Zensur. Rakowski hatte eine Antipathie gegen mich. Mir war auch  klar warum. Wir verunstalteten seinen Vornamen Adalbert und irgendwann hatte er es gehört und zwar von mir. Ich fragte Bernd damals ob er wüsste wo Schwulibert wäre, ohne zu merken dass er bereits hinter mir stand. Aus meiner Sicht war das aber keine Grund mir automatisch die schlechteren Zensuren zu geben. Ich sagte zu Hagen das schau ich mir nicht mehr lange an, dann mache ich Rabatz. Hagen sagte das geht in Ordnung. Ich stellte Rakowski zur Rede, er versuchte sich raus zu winden. Wenn das nicht besser wird beschwere ich mich bei Eckhold, sagte ich zu ihm. Seit dem Zeitpunkt bekam ich zwar bessere Zensuren aber bei Rakowski hatte ich es restlos verschissen. Immer wenn irgendetwas los war, versuchte er mich ran zu kriegen und ich wehrte mich so gut ich konnte. Es war einfach nur nervenaufreibend.
Conny hatte im März ihren 21. Geburtstag. Sie lud mich nach Pirna Copitz in ein Eckrestaurant ein. Es war eine dümmliche Idee dort schon Mittags zum Essen aufzuschlagen. Denn vor 22.00 Uhr verließen wir das Restaurant nicht. Abends hatte ich gewaltig runde Füsse und Conny den Schaden. Sie musste mich über die Elbbrücke zum Bahnhof schleifen. Bei ihr zu Hause hatten wir Glück, der alte Drachen von Schwiegermutter lag schon im Bett. Von mir hatte Conny an dem Abend nichts mehr.

Der einzelne hat zwei Augen
Die Partei hat tausend Augen
Die Partei sieht sieben Staaten
Der einzelne sieht eine Stadt*
* Gedicht Berthold Brecht


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