Dienstag, 15. Februar 2011

Auswertung der Reise

Einige Tage später war die Reise noch einmal Thema in der Berufschule. Herschel wertete den Ausflug von der fachlichen Seite aus. Da sich in Lobenstein die einzige Feingussgießerei der DDR befand, war es nur konsequent darüber zu reden. Ganz schnell waren wir dabei, die Sache auch von der politischen Seite zu beleuchten. Ich regte mich gewaltig über die Kontrolle im Zug auf. Für mich war diese eine Entmündigung aller DDR – Bürger. Meine Lehrkameraden sahen es auch so. Herschel lenkte das Thema geschickt auf Grenzverletzungen. Da lag das Thema Weinhold ganz nah. Weinhold war ein Republikflüchtling. Als Soldat war er von seiner Truppe desertiert. Auf der Flucht in den Westen hatte er zwei Soldaten erschossen. Für Verräter und Deserteure hatte niemand Verständnis und schon gleich gar nicht für einen Mörder. Dass solche Typen in der BRD mit offenen Armen empfangen wurden, empfand ich als ein Unding. Das Grenzsicherungssystem  der DDR war für mich schon immer fragwürdig, aber der Weg von Weinhold war mit Sicherheit der falsche Weg. Die BRD hatte wenigstens eine moralisch Mitschuld an den Ereignissen an der Grenze. Jeder DDR – Flüchtling wurde gefeiert wie ein Held. Dabei wusste der Westen doch bestens Bescheid, wie die Grenze gesichert war. Helden waren für mich Menschen die ihr Leben für die Rettung von anderen Menschen einsetzten. Eine Flucht bedeutete immer Gefahr für das eigene Leben und meistens auch noch für Andere, was soll daran heldenhaft sein. Der Spruch jede Zeit hat seine eigenen Helden ist tiefsinnig. Es lohnt sich auf alle Fälle einmal darüber nachzudenken. Für die einen sind es Helden für die Anderen Verbrecher. Die Einstellung zu Weinhold teilten ausnahmslos alle meine Klassenkameraden. Bei der Diskussion über das Warum und Wie der Westen dazu stand, gingen die Meinungen weit auseinander. Für mich war eins klar: Wer ins Wasser sprang und nicht schwimmen konnte, der ging unter. Genauso war es an der Grenze. Wer sich ihr näherte, war automatisch den Tod und Verderben bringenden Waffensystemen ausgesetzt. Ich musste an Heinz und Falk denken, die zu den Grenztruppen im Herbst gezogen werden sollten. Ob sie wohl schießen würden, wenn ihnen ein Flüchtling über den Weg läuft? Als Grenzer stand man mit einem Bein immer im Gefängnis. Laut sagte ich, die Flüchtlinge wollen doch nur den Luxus des Westens genießen, den meisten geht es doch gar nicht um Meinungsfreiheit, Demokratie, etc. Viele denken doch, da fliegen gebratene Tauben durch die Luft. Dass Westler für ihren Lebensstandart hart arbeiten müssen, sehen die doch gar nicht. Mit ihrem handeln bringen sie die Grenzer in Gewissensnot. Doch das ist denen scheißegal, die denken nur an sich. Darauf hin meinte Herschel, da ist die Kontrolle vor der Vorkontrolle, unter den Gegebenheiten, vielleicht doch das Beste. Eine weiterte Diskussion verhinderte das Pausenzeichen. Nach dem Unterricht schlenderte ich mit den Sebnitzern zum Bahnhof. Ich hatte genug Zeit, mein Zug fuhr erst in einer Stunde. Die Sebnitzer mussten nur 20 Minuten warten. Sie fuhren bis Bad Schandau, stiegen dort um in den Zug nach Sebnitz. Ich schaut mich auf den Bahnsteig um, wer da noch rum turnte. Eine Gruppe junger Mädchen kam an mir vorbei. Beim zweiten hinsehen erkannte ich eines von den Mädchen, Herta war unter ihnen. Wie ein so junges Ding so einen altmodischen Namen haben konnte. Herta lernte bei mir im Betrieb, sie war eine von den Teilberuflern. Sie war höchstens 15, da hatte der Staatsanwalt noch seine Finger drauf, spotteten wir über solch junges Gemüse. Das änderte aber nichts an der Tatsache dass sie eine Hübsche war. Ich lächelte zu ihr rüber und grüßte, ihre Freundinnen gackerten albern los. Ich sagte zu ihr, na Tante Herta, die Mädels brüllten vor lachen. Herta bekam einen roten Kopf und wollte heftig protestieren. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Das grüne Gemüse, erstarrte. Herta fand es nicht schlecht. Wir amüsierten uns  bis mein Zug kam. Beim einsteigen in den Zug sah ich, wie sie von den Anderen umringt und bewundert wurde.
Am Abend ging ich mit Roland ein Bier schweppern. Wir rückten in die Mitropa ein. Beim Bier trinken ging mir der Unterricht mit Herschel noch einmal durch den Kopf. Eigentlich war es eine starke Leistung mit uns über solche Dinge zu reden. Ich fragte Roland. wenn er an die Grenze müsste, ob er schießen würde. Nein sagte er, lieber würde er versuchen selber mit abzuhauen.

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