Montag, 28. Februar 2011

Zwischen Urlaub und Armee

Ich hatte mir vorgenommen noch vor der Armeezeit aus der Kirche auszutreten. Also machte ich mich auf zur Lothringer Straße ins Gericht. In dem riesigen Gebäude befand sich die Behörde zum Abmelden der Mitgliedschaft in der Kirche. Dem Pförtner erklärte ich mein Anliegen, da ich nicht den genauen Namen der Behörde wusste. Kein Problem meinte der Pförtner, Zimmer 403. Die Sache war in einer viertel Stunde erledigt. Ich staunte nicht schlecht wie unbürokratisch der Staat sein konnte. Auf Arbeit wurde die LMAA Stimmung immer größer. Nach dem ich die Drehbank an die Wand gefahren hatte, arbeitete ich mit Schulze Peter zusammen. Ich war sein Spannemann an der Drehbank. Peter meinte da hast du aber Glück das du bei Zeiten zur Armee kommst. Ich konnte ihn gut verstehen, er hatte ja ein Jahr vor mir ausgelernt und war immer noch nicht bei der Armee gewesen. Von meinem Lehrjahr wurde noch Uwe Becker gezogen. Er hatte seine Facharbeiterprüfung beim zweiten Anlauf bestanden. Hagen war der erste von unserer Truppe, der die Firma verließ. Er hatte den Arbeitsvertrag in der Firma seines Vaters unterschrieben. So langsam aber sicher zerbröselte unsere dufte Truppe. Von den Lehrausbildern ging Dixi zurück in die Produktion. Er hatte offensichtlich die Nase voll von Eckhold. Im Druckguss sollten sie wirklich mal über die Lehrausbildung nachdenken. Ansonsten stand man mit den Normzeiten ganz schön unter Druck. Doris, Peter und vor allem ich hatten ganz schön zu strampeln um die geforderten Zeiten zu bringen. Zu den schnellsten zählte ich sowie so noch nie. Dazu kam noch das wir viel Einzelstücke und Kleinserien fertigten.  Das war arbeitstechnisch gesehen interessant, Zeit blieb kaum hängen. Eins wusste ich genau, wenn ich von der Armee wiederkomme, werde ich höchstens ein halbes Jahr in der Firma bleiben und die Zeit nutzen um mir eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Arbeit gab es ja genug in der DDR, es herrschte Arbeitskräftemangel. Vielleicht fand man auch eine Firma, die einen ordentlichen Wohnraum zur Verfügung stellen konnte. Das wollte ich in aller Ruhe ausloten, wenn ich wieder da war. Wer weiß was sich bis dahin alles verändert hat.Das es in der DDR an Arbeitskräften mangelte hatte verschiedene Ursachen. Eine war die veraltete Technik, die in der Produktion vorhanden war. Der Mensch war noch immer billiger wie die Maschine. Solange die DDR mit zwei Währungen hantierte würde sich auch nicht allzu viel ändern, da war ich mir ziemlich sicher. Nicht umsonst ließen immer mehr Konzerne aus dem Westen in der DDR produzieren. Wenn es ums große Geld ging war der eiserne Vorhang zwischen den unterschiedlichen Systemen kein Hindernis. Die Lohnkosten in der DDR waren lächerlich, da kein Arbeiter mit Devisen bezahlt wurde. Allerdings mussten die Betriebe die für den westlichen Export arbeiteten ihren Maschinenpark auf Fordermann  bringen. Bestes Beispiel war die Zigarettenfabrik in Dresden. Die stellten unter anderen die Zigarettensorte Marlboro  her. Diese Sorte galt weltweit als eine der Besten, behauptete zumindest Heinz der nach seiner Armeezeit wieder in der Zigarettenfabrik arbeitete. Heinz, Falk und Hüni hatten ihre 1 ½  Jahre im Mai abgedient. Hüni wollte die Firma wechseln und kümmerte sich um neue Arbeit im KBW, als Lkw – Schlosser und Falk konnte sein Studium beginnen. Auch beim Druckguß hatte eine Firma aus der BRD Interesse gezeigt, da produzieren zu lassen. Gerüchte besagten der Konzern wäre VW, die Motorengehäuse fertigen lassen wollten. Die Gerüchte bestätigten sich, Konzernmanager hatten sich den Betrieb angeschaut und waren von der Qualität recht angetan gewesen. Schnell hatten sie festgestellt die Qualität wurde ausschließlich über die hohe Fertigkeit der Arbeiter erreicht, was dem Standart der westlichen Produktion widersprach. Viel ein Arbeiter aus war nicht garantiert, ob der neue Mitarbeiter sofort auf dem gleichen Niveau arbeiten konnte. Druckguß brauchte für den Formenbau neue Maschinen. Angeblich sollten die aus dem westlichen Ausland kommen. Da war ich mal gespannt. Wenn ich während meiner Armeezeit mal auf Urlaub war, konnte ich mich in der Firma umschauen, was sich da so tat.Seit dem Hüni von der Armee zurück war, änderte sich bei ihm so einiges. Nicht nur das er seinen Arbeitsplatz wechselte, mit Sylvia  die er in Lauenstein bei der Oldidisco kennen gelernt hatte, schien sich was ernstes anzubahnen. Sylvia kam aus einem kleinen Ort an der tschechischen Grenze, Fürstenau. Das war so in etwa der letzte Zipfel des Osterzgebirges. Roland und ich waren einmal da hochgefahren um Hüni abzuholen. Mein Gott Walter, da oben sagten sich ja Hase und Igel gute Nacht. Wenn Hüni was von dem Lebensstil seiner zukünftigen Schwiegereltern erzählte, klang das immer wie aus längst vergangener Zeit herüber. Vor allem im Winter musste das Leben da oben recht beschwerlich sein. Oft amüsierten wir uns darüber. Sylvia selber war eine Hübsche, für sie war Dresden eine andere Welt. Sie kam aber gut klar damit. Logische Folge war das Hüni und Sylvia nun öfters mit Conny und mir ausgingen. Das hieß aber noch lange nicht, dass wir immer nur mit den Mädels fort gingen. Durch seinen großen Bruder kam Roland immer wieder mal auf die Idee sich um eine neue Disco zu kümmern. Jedenfalls meinte er, wir müssten unbedingt mal nach Pretzschendorf zur Disco fahren, da soll toll was los sein. Pretzschendorf, wo sollte das denn sein, wollte ich wissen? Roland meinte hinter Dippoldiswalde Richtung Freiberg. Na gut, warum nicht es ist ja auch nicht weiter wie nach Geising. Wir machten uns am nächsten Samstag auf nach Pretzschendorf. Am Dorfgasthof herrschte reichlich Betrieb, eine Menschenmenge stand davor. Wir hatten schon bedenken da nicht reinzukommen. Die Sorgen waren unbegründet, der Tanzsaal bot reichlich platz. Auf einmal sagte einer von denen am Einlass zu mir, du bist doch der jenige der die Alte vor der Kneipe am letzten Samstag flachgelegt hat, das war eine richtig geile Nummer. Verdutzt schaute ich ihn an und sagte, wie kommst du denn darauf? Du brauchst dich doch nicht zu schämen meinte er, das war wirklich klasse. Meine Beteuerung dass ich das erste Mal hier war, nahm er nicht für voll. Roland sagte zu ihm wir sind wirklich das erste Mal hier. Aber er schenkte der Aussage von Roland keinen Glauben. Im Gegenteil er steigerte sich immer mehr in seinen Irrglauben und wollte mir unbedingt dafür eine Runde Bier spendieren. Das nahm ich gerne an. Autobasteln war bei Hüni wieder in. Sein Opel Kapitän aus den 50 Jahren musste noch lackierte werden. Den Lack hatte er schon besorgt, Schwarz und Goldfarben. Die Karosse wurde schwarz lackiert, die Motorhaube goldenfarben abgesetzt.  Dann machte er noch die weißen Zierstreifen an die Räder. Das Auto sah einfach fänomenal aus. Als das I - Tüpfelchen betrachtete er die kleine Blumenvase an der geteilten Frontscheibe.Freitag dem 05.10.1979 bekam ich per Einschreiben den Einberufungsbefehl zugestellt.  Ich war aufgeregt als ich ihn öffnete, Tatsache ich wurde direkt nach Erfurt gezogen. Aus dem Schreiben entnahm ich, dass ich in ein Transportbattalion eingezogen werden sollte. Einzufinden hatte ich mich am Stellungstag dem 1. November 7.00 Uhr in Radebeul –Ost auf dem Bahnhof. Das ging, da konnte ich mit der S - Bahn hinfahren.Mein zwanzigster Geburtstag stand vor der Tür. Conny wollte unbedingt wieder zu Vincenz Richter nach Meißen. Hüni konnte leider nicht mit, er war bei seiner Trullala in Fürstenau. So zogen Conny, Roland und ich auf Gutglück los und was soll ich sagen wir hatten wieder Glück. Die Gaststätte hatte zwar offiziell noch geschlossen aber Conny hatte Stimmen in der Lokalität gehört und klopfte an der Tür. Ein junger Mann so Mitte 20 öffnete und erklärte uns das heute die Gaststätte geschlossen bliebe, da heute Weinverkostung wäre. Conny lächelte ihn charmant an, da meinte er na gut, drei Personen mehr oder weniger machen das Kraut auch nicht fett. Bevor die Verkostung los ging, sagte Conny ich habe noch eine besondere Geburtstagsüberberraschung für dich, ich bin schwanger. Stolz drückte ich ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Weinverkostung zog sich hin, es wurde ein langer, gemütlicher Abend. Der junge Mann der uns reingelassen hatte, nahm Conny beiseite und unterhielt sich mit ihr eine gefühlte halbe Stunde. Ich fragte Conny, was wollte er denn? Sie meinte das erzähle ich dir später. Kurz vor Schluss der Veranstaltung musste ich auf die Toilette. In dem Moment als ich die Türklinke anfassen wollte öffnete jemand von drinnen die Tür und knallte mir die schwere Holztür an den Kopf. Ich flog 4 - 5 Meter rückwärts in die Garderobe und schmiss einen Teil der Ständer um. Während ich benommen für mehrere Sekunden am Boden lag, kreischten einige Gäste vor Entsetzen auf. Sie dachten der Alkohol hätte mich niedergestreckt. Der Gast der mir die Türe an den Kopf geschleudert hatte, half mir wieder auf die Beine, entschuldigte sich bei mir und stellte die Ständer wieder auf. Ich bekam noch immer keinen klaren Gedanken zusammen, als mich Cornelia wieder an den Tisch führte. Sie sagte zu mir, ist dir eigentlich aufgefallen das ich heute Abend keine Zigarette geraucht habe. Benommen murmelte ich, das möchtest du auch nicht mehr. Auf dem Nachhauseweg fiel es mir wieder ein, was wollte denn der komische Typ von dir? Sie schaute mich an und sagte, eigentlich hat er mich gebeten es dir nicht zu sagen, aber ich sage es dir trotzdem. Er wollte Aktfotos mit mir machen. Und?, fragte ich voller Eifersucht. Na was wohl, ich bin Schwanger du musst zur Armee, da habe ich ganz andere Sorgen. Innerlich wurde ich wieder ruhiger, der alte Schmutzfink sollte er doch sehen wo er seine Weiber her bekam. Eine Woche bevor es zur Armee ging musste ich auf die Meldestelle meinen Personalausweis abgeben und dafür meinen Wehrpass in Empfang nehmen. Wieder wurde ich von der Arbeit frei gestellt und den Rest der Woche hatte ich noch Urlaub. Die Meldestelle befand sich auf der Theaterstraße. Dort hatten sie ein extra Wartezimmer für uns Wehrpflichtige eingerichtet. Dann endlich war es soweit, Thomas Müller wurde aufgerufen, Jahrgang 59 geboren am 21.10. Ich raffte mich auf und ging zur Tür. In dem Moment kam von der anderen Seite ein junger Mann und wollte ebenfalls hinein. Ich schaute ihn an und sagte Thomas Müller geboren am 21.10.1959 das bin ich, verdutzt meinte er, ich auch. Wir mussten beide lachen und schüttelten uns die Hand. Am nächsten Tag machte ich noch kurz auf Arbeit meinen Spind ausräumen, verabschiedete mich von den Kollegen und machte mich von dannen.Drei Tage vor Dienstantritt ging ich mit Roland und Hüni meinen Ausstand feiern. Wir machten mörderisch einen drauf. Schwer betrunken kamen wir nach Hause. Vater jammerte rum, denk dran das du bald Vater wirst. Am nächsten Morgen nach dem ausnüchtern machte ich mich ans Sachen packen, ganz oben auf packte ich die Flasche Goldbrand die mir meine beiden Strategen zum Abschied als Wegzehrung geschenkt hatten. Conny hatte extra für die letzten beiden Tage frei genommen. Wir schlenderten durch die Stadt und wollten Mittagessen. Überall Schlangen vor den Lokalitäten, also trabten wir in die Mitropa und nahmen dort unser Mittagessen ein. Anschließend zog es uns ins Bett. Am 31.10.1979 war für mich der letzte Tag im zivilen Leben für die nächsten 1  1/2 Jahre . Vater hatte relativ schnell akzeptiert dass er Opa wurde und meinte dann solltet ihr bald heiraten. Einen Tag vor dem neuen Lebensabschnitt war ich aufgewühlt, eine Mischung aus Ungewissheit, Neugier, Stolz und Angst beherrschte mein Gefühlsleben.Was wird mich da erwarten, wie wird das Leben bei der Armee sein? Ab 1.November 1979 sollte ich auf die Fragen eine Antwort bekommen!


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