Dienstag, 15. Februar 2011

Volljährig

Einen Tag vor meinem 18. Geburtstag sagte ich zu Roland, ihr müsst heute ohne mich bauen, ich habe noch ein paar Wege zu erledigen. In der letzten Zeit hatten wir wieder öfters geschraubt. Hüni hatte sich einen alten Opel Kapitän gekauft. Das Model war vom Anfang der 50ziger Jahre. Der Zustand des Fahrzeuges war dem Alter entsprechend. Unter anderen war die Kupplung total hinüber. Aber woher Ersatzteile nehmen, für ein Auto das aus dem kapitalistischen Teil Deutschlands kam und dazu noch Hundealt war. Roland meinte man müsste sich mal mit der Kupplung von einem Wolga befassen, der ist doch ein illegaler Nachbau des Opels. Die Idee war gar nicht schlecht. Jeder wusste dass die Russen nach dem 2. Weltkrieg deutsche Autos zerlegt und nachgebaut hatten. Solche Aktionen hatten sie öfters gestartet. Die ganze russische Uhrenindustrie wurde auf der Grundlage von Glashütter Uhren aufgebaut. Das war zwar nicht rechtens wie das abgelaufen war, es war einfach nur das Recht des Siegers. Unter dem Vorwand der Reparationsleistungen hatten sich die Russen alles unter den Nagel gerissen, was ihnen gut und nützlich erschien. Hüni besorgte eine solche Kupplungsscheibe und Tatsache Roland hatte mit seiner Ansicht richtig gelegen. Die Scheiben waren fast identisch, fast. Die Führungsnuten mussten zwei Millimeter tiefer und einen Millimeter breiter werden. Hüni fragte mich, Mülli kannst du dich darum kümmern? Klar sagte ich, mal sehen was der Lehrmeister spricht. Aber da war ich Optimist, Dixi war ja selber ein Fan von solchen älteren Baujahren. Roland und Hüni bauten die Kupplungswelle aus. Am nächsten Tag konnte ich beide Sachen mit auf Arbeit nehmen. Dixi war fasziniert von der Story und wusste auch sofort Rat. Kollege Friedrich arbeitet an einer Fräsmaschine, die konnte man umrüsten. Mittels eines Zusatzteiles war die Maschine in der Lage, die gewünschte Nutenform auszuarbeiten. Er wollte heute noch mit dem Kollegen reden. Mittag sagte Dixi zu mir, kannst die Teile zu Herrn Friedrich bringen. Ich trabte sofort los und stellte mich bei Friedrich vor. Als Lehrling wurde man von den meisten Facharbeitern dusslig belegt, nie bösartig aber mich machte dass richtig an. Friedrich war einer von den Ruhigen, er schaute sich die Welle und die Scheibe interessiert an und meinte, komm heute mal nach Feierabend, da mach ich dir das und du kannst dabei noch was lernen. Nach Feierabend machte ich mich auf zu Friedrich. Der  Weg in die Fräserei führte durch die Dreherei. Ich sah Schulze Peter an seiner Drehmaschine arbeiten. Er war Lehrling im dritten Lehrjahr. Er grüßte freundlich. Hinter ihm tauchte Herr Hegenarth auf. Er löffelte sofort rum, ist hier vielleicht eine FDJ Versammlung, das sich das junge Gemüse hier rum treibt. Ich sah zu das ich weg kam. Herr Friedrich hatte schon angefangen seine Maschine umzurüsten. Mit Hilfe des Zusatzteiles führte der Maschinenkopf eine Stoßbewegung aus. Es war schon verrückt was man so alles machen konnte. Friedrich spannte die Kupplungsscheibe fachgerecht in den Schraubstock und begann die Nuten nachzuarbeiten. Es war interessant wie er das machte. Nach einer Stunde war er fertig. Ich fragte ihn was ich ihm schuldig bin. Er sagte nur, sieh zu das du fort kommst. Ich bedankte mich für seine Hilfe.
Wie bereits erwähnt machte ich mich einen Tag vor meinem Geburtstag auf den Weg zum Polizeipräsidium meine Fahrerlaubnis abzuholen. Stolz steckte ich sie zu meinem Personalausweis. Theoretisch konnte ich jetzt Auto fahren. Praktisch gesehen, ich hatte keins. Abends ging ich mit Roland und Hüni einen drauf schweppern.
Am nächsten Morgen war Freitag der 21.10.1977, mein 18. Geburtstag. Nun galt man als volljährig und war für seinen Mist selber verantwortlich. Für Samstag Abend hatte ich mir etwas Besonderes ausgedacht. Wir, Roland, Hüni, Conny und ich fuhren nach Meißen. Roland hatte einmal von einer tollen Weingaststätte erzählt die sich Vinzens Richter nannte. Genau dort wollte ich hin. Hüni meinte, da hätte ich vielleicht im Vorfeld Plätze bestellen sollen. Optimistisch meinte ich, man muss auch mal Glück im Leben haben und wenn nicht gehen wir in eine Andere. Gegen 17.00 Uhr kam die S-Bahn in Meißen an. Geruhsam schlenderten wir Richtung Altstadt über die Elbbrücke. Freundlich grüßte der Dom von seinem Felsen. Nach kurzem suchen fanden wir die Gaststätte, sie befand sich direkt am Aufgang zum Dom. Wir hatten Glück, sie hatte gerade geöffnet. Eine halbe Stunde später war die Gaststätte voll. Nicht ein Platz war mehr frei. Als wir die Weinstube betraten verschlug es mir die Sprache, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Als Lampenschirme dienten alte Ritterhelme, die Wände waren mit originalen Hieb und Stichwaffen aus dem Mittelalter verziert. Ein anderer Teil der Weinstube war mit alten Steinbüchsen dekoriert. Die Stimmung an dem Abend war eine ganz Tolle. Irgendjemand setzte sich ans Klavier und ab ging die Polonaise, raus aus der Gaststätte einmal um die Frauenkirche und wieder rein. So ging das die nächsten Stunden. Roland wollte unbedingt einen Meißner Muskatwein trinken. Ich bestellte eine Flasche Morio Muskat. Bis dato hatte ich überhaupt nicht gewusst, was ein Muskatwein ist. Er schmeckte lecker. Meißner Weine waren eine absolute Rarität. Das Weinanbaugebiet war ein ganz Kleines und dazu noch eines der nördlichsten in Europa. Meißner Weine im Laden zu bekommen war ein Unding. Sie wurden nur unter dem Ladentisch gehandelt, so genannte Bückware. Der Wein war für DDR Verhältnisse nicht teuer. Eine Flasche Morio Muskat kam keine fünf Mark. Auch der Besitzstand der Gaststätte war für DDR Verhältnisse eine Besonderheit. Es war eine private Weinstube. Der Chef persönlich, Herr Herrlich, führte die Lokalität. Selbst er war von der Stimmung des Abends angetan. Als krönenden Höhepunkt des Abends machte er eine Führung durch die gesamten Räumlichkeiten des Hauses, einschließlich der Folterkammer. Das Haus war schon über hundert Jahre im Besitz der Familie Richter. Einer ihrer Vorfahren hatte von der Stadt Meißen die Folterkammer aufgekauft, als die Strafe der peinlichen Befragung in Sachsen abgeschafft wurde. Die letzte S-Bahn fuhr gegen 01.00 Uhr nach Dresden. So konnten wir nicht bis zum Schluss bleiben, Schade. Conny „musste“ bei mir zu Hause schlafen denn die Öffentlichen hatten bis 04.00 Uhr Pause. Vorsichtshalber legte ich einen Zettel in die Küche, dass sich in meinem Zimmer Damenbesuch befand. Abends meckerte Vater rum, dass es so nicht geht. Mich interessierte seine Meinung diesbezüglich überhaupt nicht, er musste sich daran gewöhnen.


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