Montag, 14. Februar 2011

Der beste Lehrling

In zwischen war es Frühling geworden. Die Sonnenstrahlen schmolzen den letzten Schnee. Wir hatten wieder praktische Ausbildung. Montag früh waren die Lehrmeister richtig wuselig, irgendetwas lag in der Luft. Halb Acht wurde eine Versammlung einberufen, das war schon ungewöhnlich. Wir saßen im Versammlungsraum, Eckhold und die Lehrmeister betraten den Raum. Es wurde ruhig. Eckhold schwafelte los. In den letzten Wochen und Monaten sei es in Pirna zu vielen Einbrüchen und Diebstählen gekommen. In erster Linie im Neubaugebiet Sonnenstein aber auch in anderen Stadtteilen. Besonders oft wurde in Kellern und Paketboxen der deutschen Post eingebrochen. Gestern ist es der Polizei gelungen die Diebesbande festzunehmen. Mitglied dieser Bande war Andreas Rieger. Wir staunten nicht schlecht. Andreas ging ins 2. Lehrjahr und war der Vorzeigelehrling. In der Ausbildung hatte er nur Einsen und Zweien. Genau kannte ich ihn nicht aber vom Erscheinungsbild machte er einen richtig guten Eindruck. Er war so um die 1,85 groß, schlank, sportliche Figur und stets modisch gekleidet. Eben ein richtiger Sunnyboy.  Er war der Lehrling gewesen, der dazwischen ging als ich mich mit Jürgen geprügelt hatte. Er hatte mir beim Fräsen auch ein paar Tricks und Kniffe verraten, was man besser machen konnte. Vermutlich hatte es ihm imponiert, wie ich Jürgen nieder gerungen hatte. Und dieser Andreas sollte mit in der Bande gewesen sein?
Am nächsten Tag sickerte durch, er war nicht nur einfaches Bandenmitglied, er war der Kopf der Gruppe. Laut dachte ich, was werden die jetzt wohl mit ihm machen? Zwiebel sagte was wohl, nichts, sein Vater ist Obersteiger bei der Wismut und außerdem ein hohes Tier in der Partei. Wenn unsereiner so etwas machen würde, er winkte verächtlich ab. Zwiebel sollte Recht behalten. Nach knapp 14 Tagen tauchte Andreas wieder auf. Sein Vater hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, dass er nach der U – Haft so einfach seiner Arbeit wieder nachgehen konnte. Eckhold berief eine Versammlung mit dem ersten und zweiten Lehrjahr ein. Andreas wurde nach vorne zitiert. Vor versammelter Mannschaft legte Eckhold Andreas Verfehlungen dar und sprach ihm einen strengen Verweis aus. Ich hatte dabei kein gutes Gefühl. Eckhold grinste die ganze Zeit so merkwürdig. Es war eine Farce, es wirkte alles gekünstelt. Ich war mir da ziemlich sicher, das war alles vorher abgesprochen worden. Denn eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Aber wer dachte dass sich damit die Sache erledigt hatte, der irrte sich gewaltig. Andreas viel in ein Loch. Er baute schulisch und praktisch gewaltig ab. Hilfe bot ihm keiner an. Nach zwei Monaten hatte Andreas die Schnauze voll, er schmiss die Lehre hin. Es breitete sich das Gerücht aus, er hätte einen Ausreiseantrag gestellt. Natürlich wurde auch in der Berufsschule drüber gequatscht. Herschel meinte, wenn die Gerüchte stimmen, könne man ihn nur bedauern. Er hat ja keinen Abschluss in der Tasche auf solche warten die da drüben gerade. Verdammen kann er ihn aber nicht, er war bis zu seiner Straftat ein ordentlicher Schüler gewesen. Süffisant meinte er, manchmal hilft auch das beste Elternhaus nichts.
Wie es der Zufall so wollte, zwei Tage später traf ich Andreas. Ich bummelte gerade gemütlich durch den Zug auf der Suche nach einem freien Sitzplatz, als ich ihn in der Ecke sitzen sah. Er muss mich fast zeitgleich gesehen haben. Wir grüssten uns, ich fragte ihn ob die Plätze noch frei wären, er nickte. Stimmte es das du einen Ausreiseantrag gestellt hast, fragte ich? Er nickte wieder. Ich habe von diesem Staat die Nase voll. Ich meinte, machst du es dir nicht ein bisschen einfach, schließlich bist du doch bei der Sache ganz gut weg gekommen. Im Westen werden sie dich nicht so in Wattetücher packen. Brauchen sie auch nicht, da habe ich genug Verwandte die mir helfen können. Die hast du auch hier, sonst wärst du nicht so davon gekommen. Ohne Facharbeiterabschluss wirst du es sehr, sehr schwer haben. Da fang ich eben eine neue Lehre an. In dem Stil ging es bis Dresden. Wir verabschiedeten uns. Ich wünschte ihm viel Glück. Gehört und gesehen, habe ich von Ihm nie mehr etwas.

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