Montag, 14. Februar 2011

Mutter

Sylvia und ich hatten uns für den nächsten Tag verabredet. Wir wollten in Dresden bummeln gehen gleich nach dem Unterricht. Außerdem wollte sie ins Centrumwarenhaus, sie suchte noch ein Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter. In Dresden waren die Chancen größer etwas Ordentliches zu bekommen, Dresden war Bezirksstadt und Pirna nur Kreisstadt.
Kille fragte mich boshaft, ob ich mich mit meiner Dicken treffe. Ich fragte wieso Dicke? Naja meinte er, sie hat ja gewaltig abgenommen, in der Oberschule war sie nur die Dicke. Zugegeben Sylvia war von der etwas kräftigeren Sorte aber dick war etwas anderes. Außerdem hatte sie eine respektable Oberweite, da musste man schon ein straffes Kreuz haben. Rechtfertigen musste ich mich auch nicht vor Kille und sagte zu ihm. Was geht dich das überhaupt an?? Verlegen lächelte er und sagte er hätte es nicht so gemeint.
Nach der Schule fuhr ich mit Sylvia nach Dresden. Wir gingen zu mir und stellten die Schultaschen in die Ecke, dann zogen wir los. Sylvia fragte mich ob ich nicht jemanden kennen würde, der mit ihrer Freundin mal ausgeht. Erstaunt fragte ich sie, ob sie das nicht alleine bewerkstelligen kann? Sie ist zu schüchtern meinte sie. Im Übrigen kennst du sie vom sehen, sie geht mit mir in die Klasse und heißt Irmgard.  Mich haute es vor lachen bald um, mit dem Namen hätte ich auch Angst mich zu verabreden. Ich sagte zu ihr, die musst du mir mal zeigen, dann sehen wir weiter. Roland spukte mir im Hinterkopf. 19.00 Uhr waren wir wieder zu Hause, eigentümlicher Weise war Vater nicht da. Ich schaffte Sylvia noch zum Zug. Als ich wieder nach Hause kam war Vater inzwischen eingetroffen. Er hatte noch etwas zu erledigen gehabt. Die ganze Zeit schlich er um mich herum. Ich dachte, der will doch etwas. Nach einer Weile fing er an. Sag mal, wem hat den die Schultasche gehört? Ich sagte Sylvia, meiner Freundin. Das muss ja eine ganz Bezaubernde und Nette sein, die musst du dir warm halten. Erstaunt sah ich Vater an. Seit wann gefällt denn dem was, was zu mir gehört, dachte ich verwundert. Wie kommst du darauf, du kennst sie doch gar nicht? Vater meinte, er hätte mal in die Schultasche geschaut, da war ihr Zeugnis drinnen, nur Einsen. Ich war empört, in fremden Sachen rumschnüffeln, das war typisch und die Menschen nach Zensuren beurteilen. Wir stritten uns, wütend ging ich zu Roland.
Am nächsten Tag in der Schule stellte mir Sylvia ihre Freundin Irmgard vor. Ohne wenn und aber, Irmgard war eine Ansehnliche. Ich fragte sie, wie kommt man denn zu so einem Namen. Ach, meinte sie hör bloß auf, meine große Schwester hat auch so einen altmodischen Namen. Meine Mutter findet das schick. Dazu rufen sie mich noch alle Irmchen. Ich bis mir auf die Zunge und sagte zu ihr, ich habe einen Kumpel, der könnte bestimmt mit dem Namen leben, Irmchen strahlte. Am Abend traf ich Roland und erzählte ihm die Story. Anfangs war er skeptisch. Wir rückten ab in die Mitropa. Die hatte geschlossen, die Biertanks mussten gereinigt werden. Also gingen wir in den Stahlstuhl. Nach zwei Bierchen fand Roland die Idee gar nicht so schlecht, nach dem Dritten freute er sich auf Irmchen. Samstag machten wir los. Ich nahm mir aus dem Wäscheschrank ein frisches Bügelfreies, steylte meine Haare und hüllte mich in eine Wolke Duftwasser. 15.00 Uhr hatten wir uns in Pirna am Bahnhof verabredet. Damen soll man nicht warten lassen, aber der Zug hatte ein paar Minuten Verspätung. Als er endlich in Pirna ankam warteten unsere zwei Angebeteten schon auf uns. Ich stellte Roland meinen zwei Grazien vor und los ging es. Wir bummelten in die Altstadt von Pirna. Man hatte sie über viele Jahre vernachlässigt. Langsam fing man an die Altstadt zu sanieren. Mir vielen Herschels Worte ein. Wer die Altstadt verkommen lässt, raubt der ganzen Stadt die Seele. Wir hatten im Unterricht einmal darüber philosophiert ob es besser wäre nur Neubauten zu errichten oder ob man dem Altbau auch eine Chance gibt. Schließlich war das ja auch eine Kostenfrage. Auf alle Fälle kamen bei der Sanierung manch verborgene Schönheit zum Vorschein. Pirna hatte Potenzial. Über der Stadt trohnte das alte Renaissanceschloss. Angeblich sollte es das älteste im Bezirk Dresden sein. Die Nazis hatten die Gemäuer des historischen Schlosses für die Euthanasie missbraucht. Das war der traurige Höhepunkt in der Geschichte des erwürdigen Gebäudes und jetzt verfiel es. Heute musste mich das alles weniger interessieren, wir wollten uns einen schönen Tag machen. Roland und Irmchen  verstanden sich anscheinend ganz gut, also beste Voraussetzung dass der Nachmittag ein Schöner wird. Von der Innenstadt bummelten wir zur Elbe. Auf dem Weg verdrückten wir noch ein Softeis. Nach dem Enten füttern gingen wir ins Kino und schauten uns einen französischen Film mit Alain Delon an. Im Anschluss wollten wir noch Abendbrot Essen. Ein aussichtsloses Unterfangen, die Gaststätten waren voll. Wartezeiten von ca. einer Stunde waren angesagt. Die Mädels sahen es locker und brachten uns zum Zug.
Montag war Berufsschule, ich freute mich auf Sylvia. Die Stunden drei und vier hatten wir bei Herschel. Es bimmelte zum Unterricht, Herschel war pünktlich. Nach der Begrüßung sagte er zu mir, ich soll mich sofort bei Herrn Gregor dem Direktor melden. Ich schaute Herschel an, er zuckte mit keiner Mine, ich machte mich auf den Weg. Mir spukte alles  Mögliche im Kopf herum. Was kann er nur wollen? Krampfhaft überlegte ich, ob ich irgendwo Mist gebaut hatte, eigentlich nicht. Am Direktorenzimmer angelangt, klopfte ich an die Türe und wartete bis Herr Gregor herein rief. Er war alleine und bot mir einen Stuhl an. Herr Gregor begann mich auszufragen über meine Familienverhältnisse. Er wollte wissen ob meine Eltern geschieden wären, wenn ja, bei wem ich lebe. Ich erzählte es ihm. Herr Gregor schaute mich an und sagte er müsse mir eine schmerzliche Mitteilung machen, holte tief Luft und sagte ihre Mutter ist tot. Ich dachte ich hätte mich verhört und fragte, was haben sie gesagt? Er sagte noch einmal, ihre Mutter ist Tod, es tut mir leid. Ich erstarrte, die Worte klangen in meinen Ohren nach. Ohne den eigentlichen Sinn des Gesagten zu begreifen, lag etwas Endgültiges in der Luft. Wie denn das, stotterte ich? Herr Gregor sagte zu mir, ihre Mutter ist auf eine unnatürliche Art und Weise aus dem Leben geschieden, mehr kann ich ihnen dazu auch nicht sagen. Die Kriminalpolizei wird sich mit ihnen in Verbindung setzten. Wenn sie möchten können sie nach Hause gehen. Ich saß da wie gelähmt und dachte, was soll ich zu Hause, da ist doch niemand. Vater geht es ja eigentlich nichts mehr an, was wird Oma sagen, Onkel Kurt Mutters Bruder und Tobias. Alles drehte sich im Kopf. Herr Gregor fragte, ist ihnen schlecht?? Nein, nein stammelte ich, ich weiß bloß nicht, wo ich hin soll. Mich überkam ein Gefühl von endloser Leere. Ich stand auf und ging zurück zur Klasse. Wieder klopfte ich an, Herschel rief herein. Als ich Eintrat hatte ich das Gefühl, dass mich alle anstarten. Wortlos setzte ich mich auf meinen Platz. Herschel fragte ob ich nach Hause möchte. Ich schüttelte den Kopf. In der großen Pause ging Bernd und Thomas mit mir die Treppe runter in den Hof, Sylvia kam freudestrahlend angesaust. Ich erzählte ihr was passiert war, sie umarmte mich. Eine Träne verdrückend meinte ich, so nah standen wir uns nicht, das ändert aber nichts an der Tatsache dass sie meine Mutter war

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