Montag, 14. Februar 2011

Jugendweihe

von links nach rechts Onkel Oskar, Thomas, Torsten, Onkel Werner, Tobias, Onkel Bernhard

Mitte Mai hatte mein Bruder Jugendweihe. Wie in der DDR üblich war das ein Großereignis für die Jugendlichen. Das Aufnehmen in den Kreis der Erwachsenen, war schon im Vorfeld aufregend. Die neusten und modischsten Sachen sollten es schon sein, die man trug. Die Mädels sausten zum Friseur und ließen sich ihre erste Kaltwelle machen. Sie sahen richtig albern aus mit ihren Frisuren. Die staatlich organisierte Feier fand im großen Saal des Rundkinos statt. Das war schon so bei meiner Feier gewesen, das der Festakt im Rundkino statt fand. Nur wenige machten von der Konfirmation gebrauch, die die Kirche alternativ anbot. Bei uns in der Klasse war es Andreas Strobel. Mir war bis dato gar nicht aufgefallen dass Andreas kirchlich war. Zwei weitere Schüler nahmen beide Feierlichkeiten wahr. Warum auch nicht, denn schließlich machte es ja Spaß mit seinen Klassenkameraden zu feiern.
Nachmittags waren dann die Familien unter sich. Bei meinem Bruder wurde das anders gelöst. Die Eltern hatten sich schon im Vorfeld gekümmert, die Feier gemeinsam durch zu führen. Das war natürlich nicht ganz einfach. Wenn die sozialen Unterschiede auch nicht so groß waren wie in der BRD, aber sie waren da. Es musste eine Gaststätte gefunden werden, die einerseits jeder bezahlen konnte aber nicht niveaulos war. Man einigte sich auf die Gaststätte in der Herkuleskeule. Die Herkuleskeule war ein in der DDR hoch dekoriertes Kabarett mit eigener Spielstätte. In dieser Spielstätte befand sich die Gaststätte. Manchmal fand da auch Jugendtanz statt. Also die besten Voraussetzungen für eine Jugendveranstaltung. Während der 10. Klasse war ich hin und wieder dort zum Tanz gewesen. Bei einer dieser Veranstaltungen gab es eine schwere Auseinandersetzung unter den Jugendlichen. Das war Montag sofort Schulgespräch. Herbert war mit seiner Schulliebe auf der Disco erschienen. Drei Typen aus der Nachbarschule machten Herbert doof an. Einer vergriff sich an seiner Freundin. Herbert sagte ihnen sie sollen die Finger von Rita lassen. Sie lachten ihn aus und fühlten sich zu dritt haus hoch überlegen. Herbert guckte sich den stärksten von dem Trio aus. Mit einem wohl gezielten Schlag brach er ihm das Nasenbein. Die anderen beiden kuschten darauf hin. Sie versprachen Rache, es waren nur leere Worte.
Einen Tag vor den Feierlichkeiten traf der erste Besuch ein. Es waren die Thüringer aus Remda. Natürlich von Tante Erna mal abgesehen, die war schon 14 Tage da. Wir hatten im Vorfeld der Feierlichkeiten beschlossen Mutter nicht einzuladen. Vater regelte das für Tobias. Er bekam von Mutter einen Briefumschlag. Die Briefumschläge waren sowie so das Wichtigste für uns. Schon bevor die Jugendweihe begann träumte jeder von uns, von wohl gefüllten Briefumschlägen. Mit dem Geld aus diesen Umschlägen, konnten wir unsere ersten Träume erfüllen. Mein Bruder hat mir nie verraten wie viel Geld er zusammenbekommen hatte. Die Jugendweihe war nicht nur ein Großereignis für uns Jugendliche, sie war es auch für Vater Staat. Die Betriebe von unseren Eltern wurden verpflichtet Jugendweihestunden durchzuführen. Die Reichsbahn war da wirklich großzügig. Zu meiner Jugendweihe organisierte sie unter anderem Fahrten nach Berlin und Weimar. In Weimar besuchten wir die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Es war alles irgendwie aufregend. Vor Weihnachten fand noch eine Weihnachtsfeier mit anschließender Disco statt. Ich war wirklich begeistert. Meinem Bruder erging es ähnlich.

Thomas 17, Tobias 14

Samstag den 14.Mai war es soweit. 10.00 Uhr begann das große Schaulaufen. Mit frisch geputzter Brille und elegantem Jackett zog er los. Zur Feier des Tages verzichtete ich auf Jeans. Irgend so ein Heini hielt die Festrede, eigentlich interessierte sie die Wenigsten und die Jugendlichen schon gleich gar nicht. Bedeutend an sich war die Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen. Die Lehrer mussten einen siezen, zu mindesten theoretisch. Diese Aufnahme der Jugendlichen in den erlauchten Kreis der Erwachsenen wurde mit einem Gelöbnis besiegelt. Eine mehr oder weniger bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens las das Gelöbnis vor und die Jugendlichen antworteten, ja das Geloben wir. Der Inhalt des Gelöbnisses bezog sich auf die Heimatliebe, die Sozialistische. „Das verstand sich von selbst“. Mir persönlich ging der Inhalt so nah, das ich ihn 5 Minuten später vergessen hatte. Was blieb, war der festliche Augenblick als wir unser Geschenk auf der Bühne überreicht bekamen. Gewöhnlich gab es das Buch Weltall, Erde, Mensch. Auch mein Bruder bekam dieses Buch geschenkt. Bei mir war das anders. Zu meiner Jugendweihe gab es ein Bildband über die X. Weltfestspiele, die ein Jahr vorher in Berlin statt gefunden hatten.
Zu den Feierlichkeiten waren alle drei 8. Klassen der 14. Oberschule geladen. Der Kinosaal war ordentlich gefüllt mit  Angehörigen, Freunden, Verwandten und Bekannten der Schüler. Meistens reichten die Plätze gar nicht aus, so dass die einzelnen Familien ein begrenztes Kontingent an Karten erhielt. Zu meiner Jugendweihe war es noch schlimmer, wir waren 4 Achte Klassen, die die 14. Oberschule besuchten. Am Ende der Festlichkeiten stand das obligatorische Klassenfoto. Dann gingen die Feierlichkeiten so langsam aber sicher in das Private über. Vater hatte gegenüber vom Rundkino, im Restaurant International Mittag bestellt. Bei solchen Festivitäten musste man bei Zeiten an solche Dinge denken, denn gute Gaststätten waren rar. Gewöhnlich bekam man ein halbes Jahr vorher schon keine Plätze mehr. Kein Wunder das die Kellner in der DDR die ungekrönten Könige waren. Also musste es einen auch nicht wundern, wenn man beim Mittagessen viele bekannte Gesichter sah. Nach dem Essen gingen wir erst mal eine reichliche Stunde spazieren. Für die Thüringer gab es wieder viel Neues zu bestaunen. Ich nutzte die Zeit um mit meinem Patenonkel Werner zu quatschen. Wir hatten uns lange nicht gesehen, obwohl er in Dresden wohnte. Wahrscheinlich lag es an den zerrütteten Familienverhältnissen bei uns zu Hause. Onkel Werner war ein richtig Lustiger, immer zu Späßen aufgelegt. Der Schalk saß ihm förmlich im Nacken. Er arbeitete bei den Dresdner Verkehrsbetrieben als Dispatcher. Vermutlicher Weise brauchte man da viel Humor.
Um 15.00 Uhr begann die Feier der Jugendlichen. Los ging es mit dem Kaffeetrinken. Das war auch wieder so ein Problem. In der DDR jammerten viele über die schlechte Qualität des Kaffees. Tante Erna brachte immer ihren eigenen Kaffee aus dem Westen mit. Viel konnte ich dazu nicht sagen, ich war kein großer Kaffeetrinker. Außerdem schickte Erna ja immer in ihren Paketen den Türkentrank mit, „für die Verwandten im Osten nur das Beste, Jakobs Krönung“. So tönte es zu mindestens aus dem Radio, wenn man RTL hörte. Kaffee war auch das Gesprächsthema Nummer 1 beim Kaffeetrinken. Tante Erna quäkte mit ihrer schrillen Stimme, wo welcher Kaffee 10 Pfennige weniger kam. Bei dem Thema blühte sie richtig auf. Ansonsten ließ sie nie raushängen, dass sie aus dem Westen kam. Lustlos schob ich mein Stückchen Eierschecke hinter, das Gequatschte ging mir auf den Docht. Nach dem Kaffee trinken tat ich erst mal was gegen den Durst. Vater nölte rum, musst du schon wieder Bier trinken. Onkel Bernhard aus Thüringen sagte, Karl lass mal gut sein, zu so einem Feiertag passt das schon. Wenn Bernhard was sagte kuschte gewöhnlich mein Vater, denn Bernhard hatte auch studiert und trug zu dem noch einen Doktortitel vorne weg. Er war von Beruf Kinderpsychiater. In den Sommerferien war ich oft in Remda gewesen. Es waren mit die schönsten Tage meiner Kindheit. Gerne dachte ich an die unbeschwerten Tage zurück.
Gegen 17.00 Uhr begann der Tanz. Die Disco war nicht nur für die Jugendlichen gedacht. Viele Eltern nutzten ebenfalls die Möglichkeit und schwangen ihr Tanzbein. Auch mein Vater raffte sich auf. Er war ein gefürchteter Tänzer. Kein Schuh war weit genug entfernt, das er ihn nicht traf. Er trampelte immer auf irgendwelchen herum. Das Schönste war, er merkte es nicht einmal und hielt sich für einen begnadeten Tänzer. Er hatte ja auch studiert. Irgendwann kam zwischenrein das Abendbrot. Alles war sehr locker gehalten. Die Tanzfläche wurde nie leer. So ging es bis 23.00 Uhr, dann war Schicht im Schacht. Die Dresdner gingen nach Hause, die Thüringer ins Hotel und wir schnappten uns ein Taxi und schleiften Erna mit nach Hause. Ein schöner Tag ging zu Ende.

Thomas 17,Oskar, Tobias 14


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